OB SCHURKENSTAAT ODER NEONAZI – JEDER KANN MILZBRAND VERSCHICKEN: Forschung für Biowaffen ächten
Die Spekulationen über die Herkunft der tückischen Anthraxbriefe reißen nicht ab. Der Fall schien klar: Die tödlichen Milzbranderreger kommen aus dem gleichen menschenverachtenden Umfeld, das auch die Flugzeugattacken auf das World Trade Center und das Pentagon zu verantworten hat. Nur vereinzelte, kaum gehörte Stimmen, wiesen auf die Möglichkeit hin, dass für die Anthraxanschläge auch Mitglieder rechtextremistischer und rassistischer US-Gruppen verantwortlich sein könnten. Offiziell wurde von Regierungsvertretern zwar keine Verbindung zwischen den Anthraxbriefen und Bin Ladens Gefolgsleuten hergestellt, zwischen den Zeilen hieß es aber, das zeitliche Zusammentreffen der Flugzeuganschläge und der Milzbrandbriefe könne nicht zufällig sein. Das passte auch ins Feindbild.
Der Anthraxalarm bei der UN-Einrichtung in Kenia unterstützte diese Vermutung, war doch dieser Milzbrandbrief bereits am 8. September, also wenige Tage vor dem Einsturz des World Trade Centers in den USA aufgegeben worden. Doch spätestens nachdem sich herausgestellt hatte, dass dieser Brief harmlos ist, hätten die zweifelnden Stimmen lauter werden müssen. Denn alle bisher identifzierten Anthraxbriefe sind erst Tage nach den Anschlägen versendet worden.
Die erst nach und nach bekannt gegebenen Untersuchungsergebnisse sprechen dafür, dass die Anthraxterroristen aus den USA kommen und sich auch dort bei den Zutaten für ihre tödlichen Briefe bedienten. So ist nicht nur der von den Attentätern benutzte Bakterienstamm „Ames“ in US-amerikanischen Labors weit verbreitet, auch das Verfahren mit dem dieser Anthraxstamm erst „waffenfähig“ gemacht wurde, ist in den USA entwickelt worden, und zwar von den Biowaffenexperten der US-Army.
Hier offenbart sich auch eines der grundlegenden Probleme bei den biologischen Waffen. Dass einer der so genannten „Schurkenstaaten“, eine gewaltbereite Gruppe oder vielleicht auch nur ein Einzeltäter Krankheitserreger dazu nutzt, um seine Feinde zu vernichten oder zu schädigen, davor ist keine Gesellschaft gefeit. Dieser Gefahr muss mit einer allgemeinen „Aufrüstung“ in der medizinischen Seuchenbekämpfung, einschließlich weltweiter Warnsysteme, begegnet werden.
Es muss aber ein Ende haben, dass Regierungen selbst Forschungsprogramme zur Entwicklung immer wirksamerer biologischerWaffen auflegen. Auch unter dem Deckmantel der Biowaffenabwehr darf nicht erlaubt sein, Krankheitserreger waffenfähig zu machen. Denn die Gefahr, dass derartige Turbo-Organismen einmal in falsche Hände fallen, ist immer gegeben. WOLFGANG LÖHR
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