: O wie isch das Uferlüüte so schön
■ Schweiz auf hochdeutsch: Ein Thomas Hürlimann-Abend am Thalia
Das Nachtasyl, hoch oben unter dem Dach des Thalia Theaters, ist den Treppenaufstieg wert. War der Raum früher die hauseigene Probebühne, so ist es jetzt Theaterbar und Spielstätte für Lesungen und kleinere Inszenierungen. Heute wird daraus eine noch luftigere Höhe: das Grandhotel auf dem Sonnenberg. In eben diesem spielt das Stück des schweizerischen Autors Thomas Hürlimann, das den Kern der heutigen Aufführung bildet.
Hürlimann zählt zu den bekanntesten Autoren der heutigen Schweiz. Er wurde 1950 in Zug geboren. Nach dem Philosophiestudium arbeitete er als Regieassistent und Dramaturg am Schiller-Theater in Berlin. Hürlimann, der zahlreiche Literaturpreise erhielt, ist Autor zahlreicher Erzählungen und Theaterstücke. 1998 erschien sein erster Roman Der große Kater.
Im heute inszenierten Text ist – auf der Terrasse des Grandhotels Auf dem Sonnenberg – hektische Betriebsamkeit ausgebrochen. Gottfried Keller, Ikone der schweizerischen Dichtkunst, soll anlässlich seines siebzigsten Geburtstags gefeiert werden. Das Problem: Keller ist inkognito unterwegs, eigentlich wollte er sich im Hotel vor den Lobeshymnen seiner Landsleute verstecken. Unerkannt hört er dann die andere Seite seines Ruhmes. Der Ober gibt die Anweisung: „Wir müssen illuminieren.“ Gleichzeitig flucht er über diesen schauerlichen „Wörterich“.
Die Geschichte soll auf einer wahren Begebenheit aus dem Leben des 1890 gestorbenen Gottfried Keller beruhen. Auf dem Sonnenberg ist eigentlich der erste Teil des Theaterstücks Lied der Heimat. Auch in dessen anderen Episoden setzt sich Hürlimann mit dem Spannungsverhältnis von Ruhm und Einsamkeit auseinander. Indem die Künstlerstars in den Mittelpunkt gestellt werden, geht es eigentlich um das Selbstbild der SchweizerInnen. Um die Vereinnahmung der Künstler für die Konstruktion eidgenössischer Identität.
Die Aufführung im Thalia-Nachtasyl wird von einer Fachfrau inszeniert: Denise Clara Haas ist in Chur aufgewachsen und versucht mit dem Abend „zu beschreiben, was schweizerisch ist“. Ob ihr das hier gelingt? Haas: „Bei den Proben haben wir gemerkt, dass es schwierig ist, über die Schweiz zu reden.“ Hierzulande kennt keiner die Lieder oder Werbesprüche, die in ihrer Heimat Allgemeingut sind. Also mussten Zeichen gefunden werden, die auch in Hamburg verständlich sind. Mit den Schauspielerinnen Sandra Flubacher und Judith Hoffmann stehen ihr immerhin zwei Landsleute zur Seite.
Haas war zwei Jahre lang Regieassistentin am Burgtheater und ist seit dieser Spielzeit in gleicher Funktion am Thalia. Der Hürlimann-Abend ist ihr erstes eigenes Projekt in Hamburg. Die Bühne im Nachtasyl ist 24 Quadratmeter groß, gespielt wird auch drumherum. „Wir wollen einen multifunktionalen Raum schaffen, der das Berg-Tal-Gefälle und eine gewisse Enge beschreibt“, sagt Haas. In das Stück werden zwei Erzählungen von Hürlimann eingeschoben: Der Tunnel und Der Liebhaber der Mutter. Dias und Lieder sollen den Abend abrunden. Übrigens: Uferlüüte ist das Glockengeläut vom anderen Ufer des Sees. Wer die Augen schließt, wird es ausnahmsweise auch an der Alster vernehmen können.
Christian Rubinstein
heute sowie am 5. März, jeweils 20.30 Uhr
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