■ Nur mit Schröder gewinnt die SPD, tönt es allerorten. Doch gerade Medienfiguren wie Schröder können abstürzen. Wie Schreinemakers: Die Macht wofür?
Es bleibt die Frage, so Peter Lösche gestern in der taz, ob die SPD wirklich an die Macht will. Wenn ja, dann müsse müsse sie alles auf eine Karte setzen und ihren Joker präsentieren: Gerhard Schröder.
Dankenswerterweise hat der Joker nun im Spiegel ausgeführt, für welche politischen Inhalte er steht. Auf die Vorhaltung, es gehe ihm nur um die Macht und was er denn gegen sein Brutalo-Image zu tun gedenke, antwortet der Kandidat für die Kanzlerkandidatur: „Zu einem gewissen Grad gehört das [Brutalo-Image] zu mir. Wenn man es abschleifen würde, würde es einen Teil meiner eigenen Persönlichkeit wegmachen. Das will ich nicht. Es ist schon okay.“
Gefragt, was er denn mit der Macht, so er sie gewönne, anfangen würde, verweist der Brutalo auf das Motto seines derzeitigen Wahlkampfes: „Es geht auch menschlich.“ Und um dem Vorwurf, hier präsentiere sich eine gespaltene Persönlichkeit, vorzubeugen, verrät Schröder, daß bei ihm Kopf und Bauch immer eine Einheit bilden. „Sie [diese Einheit] sagt mir fast immer, was richtig und was falsch ist. Ich weiß nicht, warum, aber es ist so.“
Das also ist der Joker für einen Politikwechsel in Bonn: ein bißchen brutal, aus dem Bauch heraus menschliche Politik machen. Gewiß werden viele diesen neuen Politikstil, Aktionismus ohne ideologische Verbrämungen und lästige moralische Floskeln, durchaus zu goutieren wissen. Political Correctness ist ja in vielen ehemals linken Kreisen zu einem Schmähwort geworden, welches den Adressaten mindestens zum tumben Tor macht. Wo alle Hoffnung verbraucht ist, ist Zynismus vielleicht noch eine gute Arbeitsgrundlage für Werbetexter. Aber als Bundeskanzler einer rot-grünen Regierung, die einen Politikwechsel will? Wofür will dieser Joker die Macht?
Die Frage richtet sich an die SPD insgesamt, vor allem aber an die Generation, die sich hinter dem Etikett „Enkel“ versammelt und die weit über die fünf bis sechs Männer hinaus, die Willy Brandt damit meinte, heute die Geschicke der SPD bestimmen. Die meisten von ihnen sind Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre mit der Parole, den „Marsch durch die Institutionen“ zu wagen, in die Partei eingetreten. Das erklärte Ziel war, die Gesellschaft von innen zu verändern, Institutionen zu besetzen, statt sie von außen zu bekämpfen und so das Gesicht der Republik zu erneuern. Das ist auch gelungen.
Der Aufbruch von 68 hat in der alten Bundesrepublik deutliche Spuren hinterlassen – natürlich auch in der SPD. Gerade innerhalb der Sozialdemokratie kam es zu regelrechten kulturellen Grabenkämpfen, als die Willy-Fans von der Uni auf den Rappe- und Niggemeier-Flügel aus den Gewerkschaften prallten. Nach dem kurzen Frühling der Brandtschen Kanzlerschaft kamen fast zehn Jahre Helmut Schmidt. In diesen zehn Jahren haben die 68er in der SPD wirklich gekämpft. Veralbert von der kritischen Intelligenz außerhalb der Partei, gescholten als Juso-Weicheier, eilten sie von Niederlage zu Niederlage – um letztlich doch zu siegen. Zuletzt stürzte Schmidt über seine eigene Partei.
Mit dem Sieg begann das eigentliche Dilemma. Die Enkel, die 68er Generation in der SPD insgesamt, hatte eine Partei in der Hand und wußte kaum etwas damit anzufangen. Statt zuzugreifen, schickte man noch einmal die alten Kader vor, zuerst Hans-Jochen Vogel, dann Johannes Rau. Als Lafontaine dann endlich selbst antrat, war es bereits zu spät. 1989, als die 68er Generation der SPD tatsächlich an der Schwelle zur Macht stand, fiel die Mauer, kollabierte die Sowjetunion, und der Untergang des bis dahin bestimmenden politischen Koordinatensystems brachte nicht nur Lafontaine um den bereits sicher geglaubten Sieg, sondern auch die letzten Gewißheiten der Enkel ins Wanken.
Die 68er in der SPD sind ganz unterschiedlich damit umgegangen. Lafontaine hat sich erst einmal verstört zurückgezogen, andere, wie Schröder, haben sich konsequent auf ihre persönliche Karriereplanung konzentriert. Dafür haben sie dann nicht nur einige notwendige Anpassungsprozesse an den gesellschaftlichen Mainstream vorgenommen, sondern geradezu lustvoll die vermeintlichen Dummheiten der eigenen Biographie abgearbeitet. „In der politischen Analyse, im politischen Denken, habe ich mich sicher verändert. Ich bin heute viel rationaler, was die Frage angeht, was man verändern kann und was nicht“, sagt Schröder heute. Tatsächlich endet seine gesellschaftliche Utopie ungefähr bei Bismarck: kein Manchesterkapitalismus, keine südostasiatischen Verhältnisse.
Schröders Politik reduziert sich angesichts dieser Visionen mehr und mehr vom Inhalt auf die Form. Präsenz, Aktion, Entscheidung – lieber falsch als gar nicht. Als Batman der Arbeitsplätze düst er durch Niedersachsen, um sich noch die Rettung der kleinsten Klitsche persönlich ans Revers zu heften. Das ist populär, medienträchtig und dem Macher-Image entsprechend dienlich. Kleinliche ökologische Einwände, gegen das Ausbaggern der Ems beispielsweise, werden angesichts der Arbeitsplätze der Mayer-Werft zu den früheren Jugendsünden gerechnet und auch die Einwender entsprechend behandelt. Arbeitnehmer, die Lohndumping als Preis für Schrödersche Rettungen, wie beim Reifenhersteller Conti, nicht akzeptieren wollen, müssen eben gehen. Das ist die menschliche Politik mit dem etwas brutaleren Anstrich.
Die Gefahr, die die SPD mit Schröder eingeht, ist eine doppelte: Popularität der Schröderschen Art hat kurze Halbwertszeiten. Seine Freunde in den Medien, die oft eine ähnliche politische Geschichte wie er selbst haben, werden ihn gemäß den Schröderschen Gesetzen schnell wieder fallenlassen, wenn es ihrer eigenen Karriere dient. Zweitens besteht bei Politikern wie Schröder immer die Gefahr, daß das Publikum, in diesem Fall die Wähler, zur Unzeit merken können, daß der König nackt ist. Wo nur Verpackung ist, reicht schon ein kleinerer Lapsus, um die Leere dahinter zu offenbaren. Auch im Zeitalter virtueller Realität, das mußten Showgrößen wie Schreinemakers erfahren, ist Glaubwürdigkeit immer noch eine harte Währung. Aber wie soll ein Politiker ohne Substanz und Geschichte glaubwürdig bleiben?
Und Oskar Lafontaine? Er ist weniger kompatibel für die Medienwelt und zu klug, um zu glauben, er könnte als Dressman reüssieren. Lafontaine ist ein glaubwürdiger Vertreter der Geschichte der 68er Generation in der SPD. Tragisch ist, daß die gesellschaftliche Mission dieser Gruppe wahrscheinlich 1989 zu Ende ging. Mission: impossible? Jürgen Gottschlich
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