: Nur der falsche Tag
Die Weitspringerin Heike Drechsler (37) wird bei der EM Fünfte und denkt noch längst nicht ans Aufhören
MÜNCHEN taz ■ Am Ende blieben selbst der alten Dame nichts als ein paar dünne Ausflüchte. Der leichte Gegenwind und später auch der Regen waren es bei den ersten fünf Versuchen, die einen richtig weiten Sprung verhindert hatten, der Rückenwind schließlich, der den letzten und weitesten Satz zur Ungültigkeit getrieben hatte. Und so standen schließlich nicht mehr als 6,64 Meter zu Buche für die Weitspringerin Heike Drechsler, was Rang fünf ergab bei den kontinentalen Titelkämpfen in München, eine ganze Menge Enttäuschung und obendrein die Erkenntnis, dass das „heute nicht mein Tag“ war. Neun Zentimeter fehlten ihr zur Bronzemedaille, welche die Ungarin Tünde Vaszi hinter Siegerin Tajana Kotowa (Russland) und der Engländerin Jade Johnson gewann.
„Das kann man nicht erklären. Das ist halt so“, sprach die Olympiasiegerin, nachdem sie sich doch noch ein finales Lächeln samt Handküsschen abgerungen hatte – als Dank fürs famose Münchner Publikum, das auch im Regen nicht müde wurde, sie anzufeuern. Leicht gequält kam Drechslers Geste dennoch rüber. Gut möglich, dass das wirklich so ist: dass man mit 37 einfach nicht mehr so mitspringen kann mit all den jungen Dingern, zumindest nicht um allervorderste Plätze, auch wenn Heike Drechsler das so natürlich nicht gemeint hat. Gut möglich, dass da mit dem Weitsprungwettbewerb von München endgültig eine Ära zu Ende gegangen ist, die Ära Drechsler.
Der Verdacht drängt sich schon rein statistisch auf: Fünfmal in Folge konnte die Grande dame der Sandkuhle den EM-Titel im Weitsprung für sich verbuchen. Dass es nun nur noch Rang fünf geworden ist in einem dazu auch noch leidlich mittelmäßigen Wettbewerb, bei dem der Titel schon mit 6,85 m an Kotowa ging, darf durchaus als Fingerzeig gelten – auch wenn Drechslers Saisonbestleistung bei just diesen 6,85 m der Siegerin liegt und sie rein theoretisch also tatsächlich hätte in der Lage sein müssen, um die Medaillen mitzuspringen.
Aber das ist Theorie. Die Praxis besagt mittlerweile anderes. Zum Beispiel, dass Heike Drechsler schon im Vorjahr bei der Weltmeisterschaft im kanadischen Edmonton keinen Erfolg vorweisen konnte, weil sie sich bereits bei einem Probesprung verletzt hatte und ihren Start schließlich absagen musste. Auch in dieser Saison zwickte lange Zeit die Wade, ehe sich die Thüringerin überhaupt und mehr oder weniger mühevoll für diese EM qualifizieren konnte. Dass sie in München schließlich nicht schnell genug an den Balken kam und ihr somit der rechte Speed für einen wirklich weiten Satz fehlte, kann natürlich immer noch eine Nachwirkung ihrer Verletzung, aber auch dem Umstand geschuldet sein, dass man im Alter nicht eben schneller wird, auch eine Heike Drechsler nicht. Zwar gibt die 37-Jährige unverdrossen vor, nach wie vor auch für Sprünge jenseits der 7-m-Marke gut zu sein, den Nachweis dafür aber hat sie seit längerem schon nicht mehr erbracht. Selbst ihr Siegessatz in Sydney blieb einen Zentimeter unter der magischen Marke.
Vielleicht wäre es ziemlich klug gewesen, nach diesem zweiten Triumph bei Olympia nach 1992 aufzuhören und einfach abzutreten als strahlende Siegerin, dem Ruf geschadet hätte es bestimmt nicht. Andererseits wären Drechsler und ihrem Lebenspartner, dem ehemaligen Zehnkämpfer Alain Blondel, dann doch der ein oder andere Euro durch die Lappen gegangen. Schließlich betreiben die beiden mit der Weitspringerei ein nettes Geschäft, das seit Sydney floriert wie nie zuvor. Zumal die einst als eher spröde DDR-Sportlerin geltende Weitspringerin sich längst den Gesetzmäßigkeiten des modernen Sportmarketings unterworfen hat und sich, wenn’s denn sein muss, schon mal auch recht freizügig vor der Kamera zeigt.
Wie es auch immer sei: Der Theorie, am besten dann aufzuhören, wenn es am schönsten ist, kann Heike Drechsler jedenfalls wenig bis gar nichts abgewinnen. „Warum soll ich aufhören, solange ich in der Lage bin, das Training zu machen, solange die Leidenschaft noch da ist“, erwidert sie auf solche Einlassungen eher genervt und kündigt im gleichen Atemzug an, auf jeden Fall bis zur WM im nächsten Jahr in Paris weitermachen zu wollen. „Warum soll ich aufhören, wenn ich noch etwas gewinnen kann?“, sagt Heike Drechsler. Genau darum. FRANK KETTERER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen