: Nur Fliegen ist schöner als Lesen
Lesen ist nicht grundsätzlich gleich Genuß. Viele denken beim Kauf eines Buches längst nicht mehr an einen gemütlichen Abend, an dem man die Badewanne nur verläßt, um es sich auf dem Sofa bequem zu machen. Statt dessen ertappt man sich in der Buchhandlung beim nervösen Kontrollieren der Gesamtseitenzahl. Die wird dann der Wichtigkeit des Buchs immer häufiger gegenübergestellt – schließlich gibt es Unmengen Bücher, die man einfach gelesen haben muß. Eine schnelle Hochrechnung schließt sich an: Ob, wann und wie schnell kann man das jeweilige Werk bewältigen. An Leselust denkt dann kaum noch jemand.
Diese streßgebundene Entwicklung ist auch an den immer um das Wohl kultivierter Mitbürger besorgten Hamburgischen Electricitäts-Werken (HEW) nicht spurlos vorbeigegangen. Die städtische Institution startete diese Woche die Hamburger Lesetage unter dem geradezu quirligen Motto Literatur ist lebendig. Die dreht jedoch nicht vornehmlich im Buchladen zu Hochtouren auf. Deshalb werden die insgesamt 57 AutorInnen auch an 20 verschiedenen Orten aus ihren Werken vorlesen, die man gemeinhin nicht für Hochburgen von Bibliophilen gehalten hat.
Einer der ungewöhnlicheren Plätze ist der Hamburger Flughafen, an dem morgen abend die Kriminacht inszeniert wird. Passend zur Umgebung stellt sich die Zusammenkunft der kriminalistisch Versierten die Frage: „Wie entführe ich ein Flugzeug?“
Unter den Experten finden sich der Regisseur Jürgen Roland, Drehbuchautor Jürgen Alberts und die SchriftstellerInnen Petra Oelker und Frank Göhre. Und damit die Veranstaltung nicht in einen reinen Vorleseabend mündet, berichten kriminologischen Aktivisten von ihrer Arbeit und stehen dem Publikum Rede und Antwort.
Neben dem Kriminalistischen bieten die Lesetage eine wirklich immense Palette an literarischen Gattungen, angefangen von Märchen (Monika Gehle) und historischen Romanen (Jörg Kastner und Jutta Ditfurth) über Kurzgeschichten (Doris Lerche) und Gedichten (Volker Braun) bis hin zu Autobiographien (Kjell Johansson) und Sachbüchern (Johano Strasser). Wer in den sechs Tagen Dauerlesung keine Leselust entwickelt, dem ist wohl nicht mehr zu helfen. liv
Kriminacht am Flughafen Hamburg: morgen, 20 Uhr, Gabe B 80. Treffpunkt (19.30 Uhr): Informationsschalter in Terminal 4, Abflugebene. Die Hamburger Lesetage dauern noch bis zum 31. März. Weitere Informationen unter Tel.: 63 96 35 72
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen