Novelle des Polizeigesetzes geplant: Niedersachsens Polizei soll bald Bilder googeln
Innenministerin Daniela Behrens (SPD) will das Landespolizeigesetz modernisieren – vor allem in puncto Fußfesseln, Bodycams, Videoüberwachung und KI.

„Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ proklamiert dagegen die Ministerin, immerhin wolle man eine umfassende Modernisierung des Gesetzes, um es den aktuellen Herausforderungen anzupassen. Die sind in erster Linie technischer Natur: Für die vielen neuen Möglichkeiten der Datenanalyse, zum Beispiel mithilfe von KI, benötigt man überhaupt erst einmal eine Rechtsgrundlage. Für die vielen neuen Bedrohungen, zum Beispiel durch Drohnen, erweiterte Befugnisse.
Gleichzeitig reagiert der Entwurf auch auf die Situationen, bei denen die niedersächsische Polizei in letzter Zeit nicht gut ausgesehen hat. Eine Blamage wie im Fall der ehemaligen RAF-Terroristin Daniela Klette soll sich nicht wiederholen. Die hatten Podcaster schneller gefunden als das LKA, das seit 30 Jahren nach ihr fahndet – weil sie eine Gesichtserkennungssoftware nutzten, die für die Zielfahnder bisher tabu war.
Bodycams sollen künftig automatisch starten
Auch der Fall des durch Polizeischüsse gestorbenen Lorenz A. ist offenbar eingeflossen: Künftig soll die Bodycam automatisch aufzeichnen, wenn die Waffe gezogen wird. Das, betont Behrens, sorge für Klarheit und Transparenz, die ja auch die Polizisten im Einsatz schütze.
Voraussetzung ist allerdings, dass der betreffende Beamte eine Bodycam trägt. Das bleibt in Niedersachsen freiwillig. Gegen eine Pflicht sprächen das Gebot der Datensparsamkeit und der informationellen Selbstbestimmung, sagt die Ministerin. Bodycams seien eben auch nicht in jeder Einsatzlage sinnvoll.
Insgesamt gäbe es in der Polizei aber eine steigende Akzeptanz dieses Instrumentes, insbesondere aus der Erfahrung heraus, dass es manchmal eben auch deeskalierend wirke und man sich mit einer sauberen Dokumentation der Vorgänge auch selbst besser absichern könne.
Deshalb soll im neuen NPOG der Einsatz grundsätzlich empfohlen werden, wenn Zwang angedroht oder ausgeübt werde. Außerdem soll der Einsatz auch in Wohnungen erlaubt werden. Das war aufgrund des besonderen Schutzes dieses Lebensbereiches bisher ausgeschlossen. Gerade in Fällen von häuslicher Gewalt wäre es aber wichtig, argumentiert die Ministerin.
Das Thema häusliche Gewalt ist vor allem dem grünen Koalitionspartner ein Herzensanliegen. Der drängt schon länger auf die Einführung einer Fußfessel nach dem sogenannten Spanischen Modell. Auch die SPD-Innenministerin verspricht sich davon einiges: „Das ist kein Allheilmittel, das wird nicht alle Taten verhindern“, sagt sie. Aber: Wenn es gelingt, das Opfer mit einem Tracker auszustatten, der vor einer Annäherung des Täters warnt, sei das doch ein deutlicher Gewinn an Bewegungsfreiheit und Lebensqualität.
Polizei soll Fußfessel beantragen können
Die Änderung des Polizeigesetzes soll es künftig ermöglichen, dass die Polizei in bestimmten Fällen eine solche Fußfessel beantragen kann. Bisher ging das nur bei terroristischen Gefährdern und im Rahmen einer Führungsaufsicht bei aus der Haft entlassenen Gewalttätern. Wie in diesen Fällen auch, muss der Einsatz der Fußfessel von einem Richter genehmigt werden.
Der Gesetzesentwurf soll außerdem eine Rechtsgrundlage für erweiterte Videoüberwachung schaffen. Unterschieden werden dabei verschiedene Systeme, die zum Teil noch in der Entwicklungsphase sind und die alle unterschiedlich hohe rechtliche Voraussetzungen haben. „Intelligente Videoüberwachung“ meint etwa eine Software, die in Videoaufzeichnungen Verhaltens- und Bewegungsmuster erkennt und Alarm auslöst, wenn diese auf die Begehung von Straftaten hindeuten.
„Biometrische Echtzeit-Fernidentifizierungssysteme“ ist das, was der Laie meist unter Gesichtserkennung veersteht. Systeme, die Menschenmassen, zum Beispiel bei Versammlungen, nach gesuchten Personen scannen können. Der Einsatz solcher Systeme ist schon durch die KI-Verordnung der EU auf ganz enge Voraussetzungen begrenzt, versichert die Ministerin. Gedacht sei dabei etwa an die Abwehr von Terrorgefahren oder die Suche nach Opfern von Entführungen und Menschenhandel.
Noch einmal etwas anderes sind Suchmaschinen, die vorhandene biometrische Daten mit öffentlich zugänglichen Daten im Netz abgleichen können, wie im Fall Klette. Über die Details dieser rechtlichen Voraussetzungen – in welchen Fällen darf die Polizei welche Anwendung nutzen – werden sich nun erst einmal die einschlägigen Verbände beugen: die kommunalen Spitzenverbände, die Polizeigewerkschaften, der Richterbund, der Anwalts- und Notarverband. Erst dann – voraussichtlich im Herbst – wird der Entwurf in den Landtag eingebracht und dort beraten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
E-Autos versus Verbrenner
Der gefühlte Freiheitsverlust
Kürzungsdebatte im Sozialbereich
Und eure Lösung, liebe Linke?
Krieg in Gaza
Israel tötet Al-Jazeera-Korrespondenten in Gaza
1.265 Tage Krieg in der Ukraine
Plötzlich Soldat
Opferzahlen im Gaza-Krieg
Wie viele Tote gibt es in Gaza?
100 Tage Merz-Regierung
Kein Rezept gegen rechts