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Notgemeinschaft der Neurotiker

■ Vom Wunsch, Romanfiguren zu erschießen: Simone Borowiaks harmoniesüchtiger Schulroman „Pawlows Kinder“ macht aggressiv

Helene ist Mitte Fünfzig, Lehrerin an einer netten, liberalen Internatsschule und trägt manchmal einen Pullover mit der Comic-Figur Homer Simpson in schmutziger Altherrenunterwäsche drauf. Helene, ihr Simpson-Pulli und ihre Weise-Alte-Frau-Gedanken bilden den Rahmen für folgende Geschichte: Helenes früherer Lieblingsproblemschüler kehrt als Lehrer Dr. Jordan, genannt Cromwell, ans Internat zurück. Er schart eine Gruppe Problemschüler um sich, es gibt Ärger, und am Ende sind alle erwachsen und glücklich liiert oder jedenfalls glücklich oder liiert. Noch Fragen? Eben.

Die ganz große Handlung ist es also nicht, die „Pawlows Kinder“, den neuen Roman von Simone Borowiak, trägt. Es geht um die ganz persönlichen Dramen, die sich im eng begrenzten Biotop Schule abspielen: Um Hauptrollen im Theaterstück, um Liebe zwischen einer Schülerin und einem Lehrer, um den Elternsprechtag und darum, wie vollkommen unterschiedliche Charaktere sich zu einer Notgemeinschaft der Neurotiker formieren. Das alles klingt nicht nur nach Internatsroman, es liest sich auch wie Tina und Tini im Landschulheim – zur Abwechslung aus Sicht des Lehrkörpers. So leicht, so verschmitzt, und doch voll der Probleme des Erwachsenwerdens.

Die Schülerdialoge sind so realistisch wie Rededuelle zwischen Friedrich Nietzsche und Herbert Wehner, und zu ihren Lehrern pflegen die Teenager ein Verhältnis, das von Hierarchien ungetrübter nicht sein könnte. Vergeblich bleibt die Suche nach einer Brechung der genretypischen Klischees: Borowiak, Autorin der gefeierten und verfilmten Erzählung „Frau Rettich, die Czerni und ich“, setzt in „Pawlows Kinder“ voll auf gut und böse, allein und zu zweit, begabt und unbegabt. Und diese Gegensätze werden auch noch aufs Allervertrauteste versöhnt: „So eine Stärke, aber trotzdem labil. So eine Wucht, aber trotzdem wehrlos“ –, wie sollte ein leidender Teenager auch sonst beschrieben werden, bitte?

Borowiaks schwindelerregende Etüden in Pennälerdeutsch lassen nicht erkennen, wie ernst es der ehemaligen Titanic-Redakteurin mit solchen Formulierungen wie „Cromwell beglückwünschte den Junior zu seinem Senior“ ist. Höhepunkt in diesem Sinne ist zweifellos das Fußballspiel zwischen Lehrern und Schülern, getragen von den Kommentaren des zum Moderator aufgestiegenen Schülers Jäschke: Der Irrwitz des Sportreporter-Jargons mischt sich aufs Schauerlichste mit altkluger Gymnasiastensprache.

Ab dann reiht sich Episodisches aneinander, Skizzen von Menschen, Tieren und Situationen, die keinen Zusammenhang ergeben wollen, obwohl sich das Ganze doch zum Roman runden soll. Denn dann kommt es schon, das glückliche Ende, so glücklich, wie wir es seit Enid Blyton nicht erlebt haben, und so unvermeidlich, dass wir loszuziehen imstande wären, um wenigstens eine der Hauptpersonen eigenhändig abzuknallen.

Ulrike Winckelmann

Simone Borowiak: „Pawlows Kinder“. Eichborn 1999. 259 Seiten. 39,80 DM

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