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■ NormalzeitMit Kind, Kegel und einem Wessi

Die Ostler sind es gewohnt, alle zur selben Zeit aufzustehen, Feierabend zu haben und auch zur selben Zeit in Urlaub zu fahren. In der eingemauerten DDR machte das Sinn: „Die schönsten Wochen des Jahres“ fielen nun mal zwischen Rügen und Erzgebirge in die Sommermonate. Heute sind solche Kollektivgewohnheiten jedoch „kontraproduktiv“: Irgendwo ist immer Sommer, zudem ist es außerhalb der Urlaubssaison billiger und der Reiseverkehr weniger nervig.

Solch stoizistisches Dumpfverhalten hat aber natürlich – auch „Charakter“! Eine Brigade des Batteriewerks Belfa, die gar nicht mehr besteht, auch das Werk produziert eigentlich nur noch zum Schein, fährt alljährlich seit der Wende in den „Heidepark Soltau“ – und nahm mich heuer mit! „Wir fahren diesmal mit Kind und Kegel und einem Wessi“, wie Peter sich ausdrückte. Unser Treck bestand aus drei PKWs. Aus alter sozialistischer Gewohnheit wurden die Kofferräume mit Verpflegung vollgepackt – als ginge es nach Polen. Die Stimmung war schon bei Abfahrt – um 5.30 Uhr morgens – ausgezeichnet, ich war aber noch nicht ausgeschlafen.

Zudem sah ich meinem ersten Besuch in einem Vergnügungspark mit gemischten Gefühlen entgegen – wurde dann aber positiv überrascht. Das fing schon mit dem Park-Bedienungspersonal, von denen die meisten aus Soltau und Umgebung stammten, an: Man war ausgesprochen freundlich, fröhlich gar und saugeduldig, selbst bei den unentschlossensten und verwirrtesten Gästen – Kindern zum Beispiel. Und es wimmelte im Park von Kindern! Ich sah aber nur ein einziges (ein einziges!), das weinte. Der Vater ging mit ihm zu einem Teich und zeigte auf die Fische – und sofort hörte es auf zu weinen.

Kleidungsmäßig waren West- und Ostdeutsche sowie Polen kaum noch zu unterscheiden. Es dominierte die plastikbunte Fitneßmode – mit Turnschuhen, deren Distinktionsmerkmale ich mir im Gegensatz zu den Müttern in unserer Brigade einfach nicht einprägen kann. Man kann jedoch sagen, daß die Westler mehrheitlich in den Park-Restaurants aßen und tranken, während die Ostler höchstens kurz die Imbißbuden frequentierten, dafür jedoch auf den riesigen Parkplätzen ausgiebig picknickten, wobei die Polen sogar das entsprechende Großgerät (wie Tische, Stühle und Grill) auspackten.

Eine weitere Ost-West-Differenz machte sich verhaltensmäßig auch in unserer dreizehnköpfigen Brigade bemerkbar, vielleicht als ein Proletarier-Mittelschicht-Unterschied: Für das Eintrittsgeld konnte man beliebig oft sämtliche Vergnügungsangebote – wie Karussels, Achterbahnen, Wildwasserboote und so weiter – benutzen, dazu den Zoo und die Tiershows besuchen. Um auf eine möglichst günstige akkordlohngewohnte Kosten-Nutzen-Rechnung zu kommen, hetzte alles von Gerät zu Gerät – und je magenumdrehender das Vergnügen war, desto höher der Lust-„Gewinn“. Nur Maja aus Polen, die in eine Charlottenburger Grundschule geht, und ich benutzten kein einziges Karussel: Wir amüsierten uns dafür über das Treiben um uns herum auf der Erde. Das verstanden wiederum die anderen nicht, die uns glatt für Spielverderber gehalten hätten, wenn wir nicht so guter Dinge gewesen wären.

Maja und ich wären dafür gerne in die Tiershows gegangen, das erschien den anderen jedoch als Zeitverschwendung. Immerhin konnten wir sie dann noch zu einem Eilmarsch durch den Tierpark überreden, nachdem Eva und Peter bei einem Looping fast schlecht geworden war.

Auf der Heimfahrt am Abend schworen sich dann alle, im nächsten Jahr noch früher loszufahren: „Wir hatten ja gar keine richtige Zeit, alles gründlich auszuprobieren!“ Helmut Höge

wird fortgesetzt

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