■ Normalzeit: Ältester Wahlberliner ist tot
Wie erst jetzt in den letzten Details bekannt wurde, starb Ende Juni der Buchhalter Norbert „Hoffi“ Hoffmann aus Wetzlar. Und zwar während des EM- Halbfinalspiels England- Deutschland — vor dem Fernseher in seiner Kreuzberger Wohnung. Sein Freund Schucki stupste ihn noch an: „Ey, warum sagst du nichts mehr?!“ Hoffmann starb an einem Herzschlag — im Alter von 123 Jahren! Dazu erklärte ein Redner auf der Beerdigungsfeier, die im berühmten Wetzlarer Szenelokal „Akro“ (früher „Akropolis“) stattfand: „Der allzu früh Verstorbene — er bekam das Elfmeterschießen nicht mehr mit — lebte genau dreimal so schnell wie alle anderen.“
Nobät verkehrte in den Sechziger Jahren fast täglich in dieser griechischen Wohnstube des Wetzlarer Undergrounds. Er kultivierte eine Lebensweise, bei der das Auslassen sich anbietender Rauch-, Schluck- und Schnupf- Gelegenheiten geradezu Sünde war. Naturgemäß brachte ihn das zunehmend in Konflikte mit stocknüchternen Arbeitgebern. In den siebziger und achtziger Jahren war er bei der IBA angestellt, danach mußte er jedoch immer öfter seinen Arbeitsplatz wechseln — wegen „Alkoholproblemen“.
Aus dieser Not machte er schließlich eine Tugend: Recht eigentlich verhalf er der „amerikanischen Bewerbung“ (Unterlagen plus Performance) in Westberlin zum Durchbruch — indem er nämlich bei Vorstellungsgesprächen sein vielseitiges Können und seine Flexibilität sowie Mobilität aufs eindrucksvollste zur Darstellung brachte.
Seinen Charme entwickelte er bereits als Wetzlarer Gymnasiast: Einem Rausschmiß im – damals noch – Knabengymnasium Goetheschule kam er durch einen raschen Wechsel in die gerade koedukativ reformierte Weilburger Mädchenschule zuvor. Dort konnte er — nahezu konkurrenzlos — in Ruhe seine Minnekünste entfalten. Berühmt wurde er in mittelhessischen Schülerkreisen vor allem mit seiner vernichtenden Kritik am Notensystem, das er treffend als „Onanie“ bezeichnete. Dies brachte ihm einen schweren Tadel ins Klassenbuch ein: „Hoffmann: ,Das Ergebnis dieser Klassenarbeit ist geistige Onanie.‘“
Beim „Bund“ gelang es Hoffmann, einen Arrest mit anschließender unehrenhafter Entlassung in eine krankheitsbedingte Ausmusterung — „im gegenseitigen Einverständnis„ — umzuwandeln. Erst nach seiner Rückkehr ins Zivilleben entdeckte man, das nahezu die gesamten Morphiumbestände im Sani-Bereich des renommierten 135. Artillerieregiments Wetzlar bollemäßig geplündert worden waren. Dies ließ noch einmal seinen Ruhm in Mittelhessen aufblühen. In Berlin wurde er dann vor allem mit „Hoffmanns IBA-Erzählungen“ berühmt. In den neunziger Jahren eröffnete ihm eine Freundin aus Pankow „die wunderbare Damenwelt des Ostens“: Er verehrte Katarina Witt (mit einem Poster von ihr im zentralen Fernsehraum seiner Wohnung), der Theoretikerin Sarah Wagenknecht hing er an den Lippen: „Und wie klug sie ist!“
Das Politische war seine Sache jedoch nicht: Er trat der PDS bei. Aber nicht in Kreuzberg, sondern in Mitte: „Wesche dene Genossinne da!“ Seine letzte Freundin in den späten Neunzigern war ein weiblicher Exleutnant der Roten Armee. Ihr gefiel an dem begnadeten „Glücksrad“-Wortrater Norbert Hoffmann vor allem die trotz seines Gescheitert-Seins völlig fehlende Verbitterung: seine ungebrochene Lebensfreude. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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