■ Normalzeit: Köpenicker Kloppen am Runden Tisch
Auf dem Podium saßen ein Politiker (Bezirksbürgermeister Ulbricht), ein Gewerkschafter (IG- Metall-Funktionär Hager), ein Beamter aus der Arbeitsverwaltung (Herr Steinke) und ein linker Intellektueller (Claus Koch). Nachdem sich seine Vorredner für mehr Bündnis bzw. Aktionskonzertierung ausgesprochen hatten und aus dem Publikum gar der Ruf nach dem starken Mann laut geworden war, erinnerte Koch daran, daß es nicht um Lösungen gehe, sondern um Kampf- und Konfliktfelder. Ein allzu konsensversessener Betriebsrat versprach daraufhin, sich zu bessern. Dies pflegt man als kleinen Verhandlungs- oder Versammlungserfolg zu bezeichnen.
Ich empfand es schon als einen Erfolg, daß einige Ostberliner Betriebsräte (im Rahmen des SPD-Arbeitskreises für Arbeitnehmerfragen in diesem Fall) es geschafft hatten, nach anderthalb Jahren wieder einmal eine öffentliche Veranstaltung zu organisieren. Diese sollte zudem Auftakt einer ganzen Serie von Diskussionen über verschiedene Aspekte des Sozialstaats und seiner Demontage sein. Am Anfang standen der Arbeitsbegriff, die neuen Verteilungskonflikte und die zusammenbrechende Säule des Sozialstaats: die Tarifautonomie. Dem Sprecher aus der Arbeitsverwaltung fielen dazu einige neuere arbeitsmarktpolitische Szenarien ein, die – noch im nationalstaatlichen Rahmen – Halbierungen von Arbeitslosenzahlen bewirken sollen (unter Zugrundelegung von 450 Parametern und mit 15 alternierenden Strategien). 160 Milliarden Mark kosten die jetzt 4 Millionen Arbeitslosen den Staat jährlich.
Der Köpenicker Bürgermeister erinnerte daran, daß bei zunehmend weniger bezahlter Arbeit auch die zu verteilende Summe – über Steuern – immer kleiner wird, so daß die Einkommensschere, die bis Mitte der Siebziger im Westen immer mehr zusammenging, sich jetzt immer weiter öffnet. Für den IG-Metaller Arno Hager fehlte es vor allem am „politischen Willen“, die Verschwendung von (qualifizierter) Arbeitskraft durch Dequalifizierung abzubremsen: „Die zentralen Mechanismen sind aus den Fugen geraten, es lohnt sich nur noch, Aktienbesitzer zu sein, aber nicht, bei Daimler-Benz etwa zu arbeiten.“ (Edzard Reuter hatte diese Auswirkung des sharehoulder-values bereits geahnt, als es um die Einführung von Daimler- Aktien an der Börse ging, um an die Gelder der US-Pensionsfonds heranzukommen.)
Die Senkung der Reallöhne führt nun dazu, daß die zur Verfügung stehenden Mittel zur Konjunkturankurbelung über Konsum immer geringer werden, was in eine „depressive Spirale“ mündet. Der Gewerkschafter forderte eine „Reregulierung“. Der Elpro-Betriebsratsvorsitzende Jürgen Lindemann verlas dazu einige Passagen aus einem Brandbrief der Berliner Elektro-Innung an den Regierenden Bürgermeister: „Uns steht das Wasser bis zum Hals.“ Dem widersprach der Betriebsratsvorsitzende der Knorr-Bremse, den die fortwährenden Vereinbarungen mit der Geschäftsführung, um Arbeitsplätze zu erhalten, zu der Einschätzung verleiteten: „Unsere Belegschaft ist bereits weiter als die Gewerkschaft.“ Ein „Arbeitsloser“ meinte: „Hier geht doch bereits die Angst um!“
Claus Koch erinnerte angesichts der enormen Erwartungen an die Politik noch einmal daran, daß eine neue Macht im Parlament nur so viel ändern könne, wie die Mehrheiten hinter ihr mit Druck wollen. Und Druck machen könnten nur die Arbeitsfähigen und Arbeitsplatzbesitzer, also die gewerkschaftlich Organisierten, wobei wir alle jedoch aus unserer jeweiligen Tätigkeit die wesentlichen Konflikt- und Konsensfähigkeiten zögen. Die Konfliktfähigkeit stehe dabei an erster Stelle: „Es geht letztlich immer um das Kloppen!“ Helmut Höge
wird fortgesetzt
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