■ Normalzeit: Schützenswerte Neuanlagen
Der Bauer ist witzig geworden, sagte man zu Thomas Müntzers Zeiten. Auch der Petit Citoyen unserer Tage kommt langsam in neuen Schwung. Vorerst geht es ihm noch primär darum, sich im härter werdenden Weichbild der Stadt zu behaupten. Dies gilt zuvörderst für die Vietnamesen, die in Warschau bereits einen vieltausendköpfigen Stadionplatzabschnitt behaupten und in Berlin seit einiger Zeit eine große Markthalle (in der Rhinstraße, Hohenschönhausen) betreiben: mit Kita, Infozentrum, Restaurants, Lebendfisch-Verkauf und allem Drum und Dran (7 Tage in der Woche, von morgens bis abends). Die Autos der Einzel- und Großhändler signalisieren den Fortschritt in ihrem ökonomischen Existenzentwurf.
Ähnliches gilt auch für die hiesige Thai-Szene, die nicht nur immer mehr Imbisse, Discos, Supermärkte und Im- und Exportläden eröffnet, seitdem ihre „Thai-Funbars“ von den Russen und Polen ins ökonomische Abseits gedrängt werden. Darüber hinaus treffen sie sich am Wochenende auch noch regelmäßig im „Preußen-Park“ am Fehrbelliner Platz, wo sie nicht nur – wie die Türken im Tierpark – für sich grillen und Tee zubereiten, sondern dieses Angebot auch noch für andere preisgünstig bereithalten. Zwar regt sich dagegen auch schon wieder schimpfend – wie im Tierpark – Wilmersdorfer-Witwen-Widerstand, aber diese ökonomisch stimulierende Selbstversammlung ist – ebenso wie die vietnamesische, für die gerade eine neue größere Halle gesucht wird – durch Ortsverweis nicht mehr zu bremsen. Davon können die immer üppiger mit Spenden bedachten Thai-Mönche (es gibt nunmehr zwei Thai-Klöster in Berlin: in Wittenau und – seltsamerweise – in Marzahn) bereits ein Loblied singen. „Die essen dort jeden Tag Schweinefleisch“, meinte ein junger Thai neulich zu mir, „die ceylonesischen Mönche im alten buddhistischen Kloster in Frohnau bekommen dagegen immer nur Bohnen! Es gibt keine richtige ceylonesische Szene hier.“ Seine wunderbare Mutter, Oy, die sich vor zehn Jahren, als sie nach Berlin kam, als erstes im Frohnauer Buddha-Zentrum seelisch aufrichtete (damals gab es noch keine Thai-Klöster), hat inzwischen mit anderen, mittlerweile ebenfalls gutbetuchten Thai-Freundinnen zu den Mönchen aus Sri Lanka zurückgefunden – und unterstützt diese regelmäßig mit Geld und Lebensmitteln.
Im edlen Buddhistischen Haus in Frohnau, wo man nun eine zehn Meter hohe Pagode errichten will, hängen überall „Wahrheiten“ und „Ermahnungen“ (wie z.B. „Iß soviel, wie du Gutes getan hast“). Mitte Oktober wurde dort zusammen mit den Thai-Mönchen sowie einigen Reinickendorfer Politikern die „Kathina-Zeremonie“ gefeiert, zu der die Äbte auch Laien wie uns einladen. Die „Kathina“ fällt in die Regenzeit, in der die Mönche das Kloster nicht verlassen, um keine Insekten zu zertreten. Deswegen müssen die Gläubigen selbst anrücken, „um ihnen alles zum Leben Notwendige zu bringen“. Erwähnt sei außerdem noch die erste Berliner Trödelmarkthalle hinter der Lohmühlenbrücke, die von Türken, Ostberlinern und Sperrmüll-Kreuzbergern betrieben wird: Am Wochenende versammelt sich dort eine derart interessante Mischung (auch an Trödel), daß es nur eine Frage der Zeit sein dürfte, bis unser Multikulti-Terminator Schönbohm dieses Soziotop zerstört. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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