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■ NormalzeitDrei Hexen und die moderne Inquisition

Richtige Hexen trifft man selten in Berlin, aber es werden mehr. Der Grund ist die Kostenexplosion im Krankheitswesen sowie die postmoderne Implosion in der deutschen Diagnosetechnik. Welcher Weißkittel vermag schon die körperlichen Dezentrierungsprobleme von Türken zu dialogisieren? Eine türkisch-jüdische Feministin, Emy Cohn, schrieb ihre Doktorarbeit darüber. Inmitten der ganzen Nouvelles Cuisines hier ist es auch rätselhaft, wenn polnische Akademikerinnen immer mehr essen – und trotzdem dünner werden. Für solch eine, die schon ein halbes Dutzend deutsche und polnische Ärzte durchhatte, sollte neulich auf die Schnelle eine Hexe gefunden werden.

Die ghanaische von schräg gegenüber kam dafür nicht in Frage. Zwar hatte sie einer Angolanerin gegen deren Hüftleiden den hexischen Rat gegeben: „Du mußt einfach ein Kind kriegen!“ – was dann auch geholfen hatte –, aber ganz generell neigte sie allzusehr zu schwarzer Magie, nur bei afrikanischen Patientinnen machte sie gelegentlich Ausnahmen. Und selbst diese weißmagischen Anwandlungen nahmen die davon Betroffenen ihr nicht so recht ab. Im konkreten Fall hatte sich denn auch die Schwangerschaft eher aus Versehen ergeben, und dementsprechend die Heilung. Außerdem war die ghanaische Hexe einfach zu stark – und die polnische Patientin schon zu schwach. Jedenfalls traute man ihr nicht zu, ebenso robust wie die eher korpulenten afrikanischen Klientinnen derbste magische Anstöße abzufedern.

Also vermittelte man sie an eine eher zarte Chinesin. Eine schneeweißmagische Heilerin mit allerlei Methoden und Ölen – sowie Routine-Reputation. Bereits bei der zweiten Sitzung trat eine Besserung des Befindens ein. Alle waren glücklich. Aber weil doppelt genäht besser hält, wurde noch eine ukrainische Hexe herangezogen. Diese mußte erst umständlich über eine ukrainische Prostituierte im Prenzlauer Berg, der man zu allem Überfluß gerade das Telefon abgestellt hatte, kontaktiert werden. In der Wohnung bei ihr, der Ukrainerin, fand dann auch das fast konspirative Treffen statt.

Zuvor erkundigte diese sich noch bei einem befreundeten Rechtsanwalt aus Paderborn, ob so eine Zusammenführung, die pro Sitzung 50 Mark kosten sollte, nicht kriminell sei. Der Jurist meinte: Nach den ganzen neuzeitlichen Hexen- und Schamanen-Vernichtungen und allen postmodern- affirmativen Feminismen sei man nunmehr – zumindestens in der BRD – liberal geworden. Die Hexerei sei bloß noch ein strafloses Wahndelikt. Letztendlich könnten einen dabei jedoch immer noch Finanzamt und Arbeitsamt bzw. Sozialamt am Arsch kriegen, was ebenso unangenehm sei wie die gute alte Inquisition.

Das mit dem Finanzamt leuchtete der Prostituierten sofort ein, aber als selbständig Tätige konnte sie natürlich nicht wissen, was die Arbeits- und Sozialämter gegen die Selbstheilungskräfte des spät, aber nicht allzuspät globalisierten Freimarktes hatten. Der Jurist klärte sie auf: Jeden Pfennig, den die Hexe verdient, zieht ihr das Arbeitsamt vom Arbeitslosengeld bzw. von der -hilfe ab oder das Sozialamt von der Soziknete. – Das ist ja furchtbar, stöhnte die Ukrainierin, meine Bekannte lebt doch einzig und allein von der Hexerei, da bleibt ihr doch nichts! Nun war der Rechtsanwalt verwirrt: Ja, kriegt sie denn gar keine Unterstützung vom Staat? – Nein, keinen Pfennig, beteuerte die Ukrainerin. – Dann können sie ihr auch nichts abziehen, meinte der Jurist und beendete die Beratung.

Auch das erste konspirative Heilungs-Treffen war ein Erfolg. Zum Schluß legte die Hexe der Polin sogar noch die Karten – kostenlos. Allen drei Frauen saß anscheinend das Geld locker, denn anschließend enwickelte sich daraus spontan eine zünftige Zockerparty. Wobei die Polin erneut etwa 50 Mark einsetzte – und verlor. Aber noch heute ist sie weit davon entfernt, es zu bedauern. Helmut Höge

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