Normalzeit: NS-Verbrechen
■ Von Helmut Höge
Das neue Spielcasino am Marlene-Diepgen-Platz schöpft zwei Einkommensklassen ab. Weil ich zufällig ein sauberes Hemd anhatte, entschied ich mich für die VIP-Klasse – oben.
An den Roulettetischen spielten vornehmlich arabische Geschäftsleute, die alle paar Minuten fünftausend Mark und mehr verloren – und bereits im Stadium nur noch mühsam niedergehaltener Panik von einem Tisch zum anderen hetzten. Die Croupiers hatten den Charme von BVGlern, einer rief sogar: „Zurückbleiben!“
Ich verlor zügig meinen Hunderter, um mich besser auf die Spieler konzentrieren zu können. Neben mir saß eine betrunkene Rothaarige. Sie spielte klug, hatte aber wenig Geld.
Als sie aufstand, bemerkten die um sie Herumstehenden, daß ihr Stuhl ganz naß war. Und sie bemerkte es ebenfalls. „Bitte begleiten Sie mich nach draußen“, bat sie mich leise, „das ist mir ja so peinlich.“
Ich bot ihr an, sie nach Hause zu fahren. Sie wohnte in Steglitz. Vor ihrem Haus angekommen, lud sie mich ein, noch auf eine Flasche Flens mit hochzukommen. Auch mein Beifahrersitz war inzwischen durchnäßt. In ihrer Wohnung genehmigte sie sich erst einmal ein Dosenbier. Dann ging sie ins Badezimmer, um sich „frisch“ zu machen. Als sie zurückkam, war auch noch ihr Kleid vorne und hinten naß.
„Das ist aber jetzt Wasser, oh Scheiße, ist mir das schon wieder peinlich, wie seh' ich denn jetzt aus.“ – „In zehn Jahren lachen Sie darüber“, tröstete ich sie. „Außerdem sind sie doch hier zu Hause. Wenn es nur Wasser ist, kann man es leicht rausbügeln.“ – „Ich kann aber nicht bügeln, ich hasse Bügeln.“ – „Na dann bügel' ich es Ihnen!“ – „Das würden Sie für mich tun?“ – „Ja, wenn Sie mir Brett und Bügeleisen geben.“
Die Frau verschwand im Flur, als sie zurückkam, hatte sie bereits ihr Kleid ausgezogen. „Ich heiße übrigens Doris“, sagte sie, „und es ist alles so furchtbar. Ich spiele doch so gerne, und dann kann ich nachts sowieso nicht schlafen – deswegen trinke ich.“
Ich fing an, ihr Kleid zu bügeln. „Sie können das aber gut. Sie sind wohl nicht verheiratet!“ Statt ihr zu antworten, fragte ich sie, womit sie ihr Geld verdiene.
„Bis vor einigen Jahren habe ich in Bars gearbeitet. Daher kommt doch das ganze Elend.“ – „Was denn für ein Elend?“ – „Na daß ich mir quasi in die Hose mache, ja, das war es doch wohl.“ – „Ich verstehe nicht.“ – „Ach, eine blöde Geschichte. Man hatte mich gedrängt, ich sollte mich auf NS- Spiele spezialisieren. Das habe ich dann auch – erfolgreich – gemacht, zu erfolgreich ...“
„Was denn für Nazi-Spiele?“ – „Quatsch Nazi, NS bedeutet Natursekt, wie kommen Sie auf so was Dummes, Politisches, das könnte man höchstens unter SM bringen.“ – „Wäre aber doch gut möglich, gerade in Berlin“, verteidigte ich meine Unwissenheit, „in Gatow gibt es zum Beispiel eine Prostituierte, die sogar – für Leihbeamte – eine echte Gaskammer bereit hält.“
„Das ist ja widerlich! Obwohl die Kunden, die ich hatte, wahrscheinlich dieselben waren: Altnazis, Immobilien- und Politikfettärsche, solche eben. Meine hatten aber alle noch eine ganz spezielle Macke – eben Natursektliebhaber. Und dafür zahlten die sehr, sehr viel. Ich mußte die also kurz gesagt anpissen, meistens, in dem ich mich nackt über sie hockte. Es war alles ziemlich widerlich, und ich trank immer mehr. Schon allein, um ständig genug Flüssigkeit in der Blase zu haben. Mit der Zeit bekam ich immer mehr Stammkunden, und die hatten es als wichtige Männer oft sehr eilig, so daß ich manchmal stundenlang mit praller Blase dasaß und auf ihren Anruf wartete. Irgendwann hat sich daraus bei mir so eine Macke entwikkelt: In bestimmten Streßsituationen pisse ich einfach los. Leider habe ich noch nicht rausbekommen, wann das genau ist. Ich merke es immer nur hinterher – und dann ist es zu spät. Hoffentlich bekomme ich jetzt kein Casinoverbot am Potsdamer Platz, obwohl – ich gehe sowieso lieber ins Forum-Hotel.“ – „Ich habe auch mal ein Potsdamer-Platz-Verbot bekommen, weil ich den Bauherrn Daimler-Benz angepißt hatte.“ – „Das sagen Sie doch jetzt nur, um mich zu beruhigen ...“
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