■ Normalzeit: Ente gut, alles gut Von Helmut Höge
„Ich arbeite an einer CD-ROM über die Mauerkunst, kann ich von Ihnen einen alten taz-Artikel – ,Die Mauer – Magnet für Millionen‘ – verwenden?“ Klar! Wenig später besuche ich den Anrufer Ralf Gründer in der Galerie des Mauerkünstlers Thierry Noir. Das war der, der immer die selben bunten Köpfe auf die Mauer malte, jetzt werden sie auf T-Shirts am Checkpoint Charlie verkauft.
Zu Mauerzeiten hat er damit viele genervt, weil seine Köpfe Sprüche und Kritzeleien auf der Mauer überdeckten. Schließlich wurden sie selbst übermalt.
Dann kam die Wende – und damit Gott sei Dank das Ende aller Mauerkunst, die noch einmal – zusammen mit den Mauersegmenten – kurz hoch in Kurs geriet und weltweit verscheuert wurde. Seitdem bemalen die Souvenirhändler ihre Mauerstückchen selbst und man wird immer wieder von Touristen gefragt: „Wo verlief die Mauer?“ Selbst hartgesottene Antikommunisten bedauern den Abriss des Touristenmagnets, der neben der Roten Armee zu den wenigen Berlin-Attraktionen zählte. Bereits beim Abriss der letzten 12 Mauersegmente am Potsdamer Platz sprach man nur noch von Denkmalzerstörung.
Sehr vieles kommt dieser Tage – pünktlich im 10-Jahre-Trend-Rhythmus – zu einem Abschluss bzw. Abschlussbericht. Entweder endete es 1989 oder es begann 1989 und geht nun ins 10. Jahr. Das ist einmal der Fall mit dem opulenten Werk/Katalog „dagegen – dabei“, der selbst organisierte „Kunstprojekte“ bzw. „Produzentengalerien“ resümiert, die in den 80er-Jahren um die Hamburger „Buch Handlung Welt“ entstanden und sich zahlreich in Westberlin ausbreiteten.
Dazu gehört auch der Frankfurter „Bräunungsstudio Malaria“-Ableger „Low Spirit“ in der Mommsenstraße sowie der Kreuzberger Fischbüro-Keller UFO, aus denen die Love Parade und das Immobilienprojekt Technotower hervorgingen. Wozu nun ebenfalls nach zehn Jahren ein Zwischen- bzw. Abschlussbericht vorliegt: „Die Love-Parade-Story“ von Bublitz und Ballin.
Inzwischen arbeiten auch ORB und SFB, deren Jugendradios DT 64, 4 U, Rockradio B und Fritz sich einst als Erste auf die Technomusik stürzten, das Love-Parade-Phänomen „historisch“ auf. Kurz zuvor hatte sich daran bereits die einstige Pressesprecherin des Fischbüros, Claudia Wahjudi, versucht: „Metro-Loops“. Über die Prenzlauer-Berg-Scene – bis 1989 – erscheint demnächst ein Reader von Annett Gröschner: „Durchgangszimmer“.
Mit den geschichtlichen Sinngebungen ist es so eine Sache: Olle Kamellen für die einen, genealogische Forschung (Roots) für die anderen, eine Tiefendimension für die Jungen, eine Verklärungsarie für die Alten. Diese Resümees haben also immer auch was von Stalingrad-Erzählungen, bei denen meist herauskommt, dass die härtesten Landser gar nicht dabei waren oder nur am Rande bzw. in Gedanken ganz woanders.
Erst recht gilt dies für die Mauerkunst auf CD-ROM, für die Ralf Gründer unermüdlich Fotos, Texte, Videos, Musikstücke etc. sammelte und dabei auch mit dem Mauerarchivar, einem ehemaligen Grenztruppen-Offizier, zusammenarbeitete. Das taz-Archiv stand Gründer ebenfalls offen, u.a. hatte die Kulturredaktion einmal sämtliche Mauersprüche rund um Westberlin recherchiert.
Am 17. Juni wurde die CD-ROM im Abgeordnetenhaus vorgestellt. Der gelernte Geologe Gründer hatte zu dem Zeitpunkt bereits seine erste feste Anstellung angetreten: im Umweltbereich bei der Schwarzen Pumpe. Das „Volksfest auf der Mauer“, mit dem Gründers CD-ROM beginnt oder endet, war damals zugleich die noch rohe Urfassung dessen, was dann als politische Demonstration penetrant Partycharakter annahm. Immerhin: Neben Rudi Dutschkes „Führerbunker“ wollen die Ami-Touristen jetzt auch immer die Love-Parade-Strecke besichtigen.
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