Normalzeit von Helmut Höge: Dem S-Bahn-Chaos auf der Spur
Viele landeseigene Betriebe wurden von Ex-Treuhandmanagern geplündert. Zum Glück sind die meisten jetzt gegangen worden.
Nachdem die dynamischen Treuhand- und McKinsey-Manager alle DDR-Betriebe abgewickelt und ihre hochbezahlte Tätigkeit auf Grundstücksgeschäfte reduziert hatten, wurden sie massenhaft in die Leitungsebenen von BVG, S-Bahn und Deutsche Bahn AG gelobt - wo sie ihr grausames Spiel fortsetzten: Massenentlassungen, Schließungen von Reparaturwerken und Grundstücksgeschäfte (die DB ist nach wie vor einer der größten Immobilienbesitzer Berlins). Treuhandchefin Birgit Breuel hatte beizeiten Flankenschutz gegeben: "Die Betriebe in der DDR waren doch ,übervölkert'."
Das wurde schnell anders. 2004 waren selbst die übrig gebliebenen S-Bahn-Reparaturwerke nicht mehr voll funktionstüchtig, von den Bahnen selbst bald ganz zu schweigen. Das Servicepersonal musste eine Höflichkeitsschulung nach der anderen über sich ergehen lassen. Von den U-Bahn-Abfertigern entließ man einen fristlos, weil er sich weigerte, "Zurückbleiben, bitte!" zu sagen. "Wir mussten ein Exempel statuieren", erklärte ein BVG-Sprecher dazu.
Die S-Bahn-Fahrer fanden bei Schichtbeginn immer öfter Zettel ihres Vorgängers auf der Konsole: "Bremsleitung links klemmt, nicht schneller als 60 fahren" oder: "In Linkskurven vorsichtig abbremsen!" Es war wie in den guten alten Zeiten - ewiger Materialmangel und Engpässe. Ein Müllmann von der BSR, wo man ebenfalls Ost und West zusammengeknallt hatte, meinte einmal auf die Frage eines SPD-Politikers, ob seine Arbeit nun anders geworden sei: "Eijentlich hat sich nischt jeändert, außer det Jesellschaftssystem."
Bei der S-Bahn waren jedoch große Veränderungen geplant. Ihrem ersten Westchef, Axel Nawrocki, den man nach der Treuhand auf die nun ebenfalls zu privatisierenden öffentlichen Einrichtungen losließ, fielen laufend neue Ideen ein, um aus der "maroden Anlage" einen schicken Suburb-Shuttle zu zaubern: Cabrio-Waggons, die Wiedereinführung der 1. Klasse, mobile Cappucchino- und Bagle-Teams in gewagten Fantasieuniformen, grün leuchtende Infopoints, usw.
Der BVG-Chef Graf von Arnim versuchte, es ihm an Kreativität nachzutun. Er hatte zuvor im Auftrag von McKinsey alles kurz und klein privatisiert. 2002 hievte ihn sein einstiger Treuhand-Kollege Thilo Sarrazin in den BVG-Chefsessel, nachdem dieser Finanzsenator geworden war. Um den Thesen seines Förderers Recht zu geben, die Sarrazin 2003 mit seinem Anleitung "Öffentlicher Dienst und Staatsbankrott" vorgelegt hatte, verdoppelte von Arnim als Erstes die Vorstandsposten, die er dann mit weiteren Privatisierungskumpeln besetzte; an andere verteilte er großzügig Beraterverträge (83 insgesamt). Selbst seine Freundin, eine Musicaldarstellerin, musste ran: Sie bekam 50.000 Euro Jahresgehalt von "seiner" BVG. 80 Führungskräfte beglückte er mit Dienstwagen aus der 5er-BMW-Klasse.
Gleichzeitig verschlankte er die Belegschaft der mit 1 Milliarde Euro verschuldeten BVG von 26.000 auf 13.000. Sein Jahresgehalt belief sich auf 300.000 Euro. Das Land versprach ihm eine Prämie von 30 Prozent, wenn "seine" BVG das Sparziel erreiche. Zum Glück starb der Graf 2005 plötzlich.
S-Bahn-Nawrocki, der laut taz "einfach zu viel wusste", als dass Ex-Bürgermeister Diepgen ihn unversorgt lassen konnte, bekam als S-Bahn-Chef eine halbe Million Euro im Jahr - und rückte in den Vorstand der Bahn AG vor. Dort kippte ihn jedoch 1999 Mehdorn raus - Begründung: "Sein unternehmerisches Konzept hat nicht überzeugt."
Jetzt - nach dem "S-Bahn-Chaos" - wurde gleich der gesamte Vorstand gefeuert. Berlin wird langsam wieder treuhandmanagerfrei. Aber das ist keinem Druck von unten oder gewerkschaftlichem Sonstwieeinfluss zu verdanken. Auch hat kein S-Bahn-Arbeiter oder -Betriebsrat Alarm geschlagen. Alle (proletarischen) Subjektäußerungen sind hier und heute erst einmal an ein Ende gekommen, stattdessen haben wir es mit Objektstrategien zu tun: Es sind nun die S-Bahn-Züge selbst, die sich wehren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Russland droht mit „schärfsten Reaktionen“
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Diskussion um US-Raketen
Entscheidung mit kleiner Reichweite