Nordwind Festival ohne Aktionskünstler: Der brennende Fehdehandschuh
Seit dem 9. November sitzt der Performancekünstler Pjotr Pawlenski in Moskau in Untersuchungshaft: Überlegungen zu seiner Aktion „Bedrohung“.
In der Nacht auf den 9. November 2015 legte der radikale Petersburger Performancekünstler Pjotr Pawlenski Feuer vor dem Haupteingang der Moskauer FSB-Zentrale an der Lubjanka. „Die brennende Tür der Lubjanka ist der Fehdehandschuh, den die Bevölkerung in das Gesicht der terroristischen Bedrohung wirft“, so Pawlenski, wobei mit der terroristischen Bedrohung die Methoden des FSB gemeint sind. „Bedrohung“ („Ugroza“) ist denn auch der Titel der Aktion.
Nachdem er die massive Flügeltür mit Benzin übergossen und mit einem Feuerzeug angezündet hatte, stellte er sich mit dem leeren Kanister in beiden Händen breitbeinig vor den Flammen in Pose; dabei ließ er sich von zwei Journalisten, die die Aktion begleitet hatten, filmen – und wartete. Pawlenski wartete unbeweglich darauf, von einem Sicherheitsbeamten des FSB festgenommen zu werden (selbstredend musste er nicht lange warten).
Was für ein Unterschied zu den künstlerischen Aktivisten der Gruppe Woina, die (nicht nur) 2010 möglichst schnell vom Ort des Geschehens weggerannt waren, nachdem sie für ihre Videoperformance „Palace Revolution“ ein Polizeiauto aufs Dach gedreht hatten!
Sowohl Pawlenski als auch Woina richten sich mit ihren Aktionen gegen die Exekutive, gegen den Polizei-, den Geheimdienstapparat und andere mehr. Um zu zeigen, dass man sich vor den Exekutivorganen des russischen Staats und somit auch vor dem Staat selbst nicht fürchten muss, gingen Woina aggressiv vor, schlugen einen Konfrontationskurs ein – und rannten doch zum Schluss meistens vor den Polizisten davon. Pawlenski hingegen nicht.
Selbstverletzung vs. Repression
Ganz gleich, ob er sich wie bei seiner Aktion „Tuša“ (in etwa „Geschlachtetes, ausgeweidetes Tier“) 2013 nackt in eine Stacheldrahtrolle vor das Gebäude der Sankt Petersburger Gesetzgebenden Versammlung Zaks legt, ob er für seine Aktion „Fixierung“ („Fiksacija“) im November des gleichen Jahres seinen Hodensack auf das Kopfsteinpflaster des Roten Platzes nagelt, oder ob er sich 2014, nackt auf der Mauer vor dem Moskauer Serbski-Wissenschaftszentrum für Sozial- und Gerichtspsychiatrie sitzend, das rechte Ohrläppchen abschneidet: Er rennt nicht nur nicht weg, sondern er sorgt sogar dafür, dass er sich kaum mehr bewegen kann.
Zum einen schafft Pawlenski hier schlagende Bilder, um zu zeigen, wie jede Handlung des Menschen in einem repressiven gesetzgebenden System Reaktionen des Gesetzes hervorruft, die sich direkt in den Körper des Individuums einschreiben, er schafft Metaphern auf die Apathie, die politische Unentschiedenheit und den Fatalismus der gegenwärtigen russischen Gesellschaft. Aber vor allem schafft er eines: Durch seine eigene Bewegungs- und Hilflosigkeit macht er auch die Beamten hilflos. Durch die Gewalt, die er in schönster Tradition der Body-Art seinem eigenen Körper antut, schaltet er die Gewalt des Exekutivapparats aus.
Angesichts des nackten, vermutlich oft unterkühlten und geschundenen, mit Wunden übersäten Körpers werden die Beamten ganz vorsichtig, ja behutsam. Pawlenski verletzt eben nicht – wie vermeintlich die um die Jahrtausendwende deswegen angeklagten Performancekünstler Awdei Ter-Oganjan und Oleg Mawromatti oder eben zuletzt die Punkaktivistinnen von Pussy Riot – die (religiösen) Gefühle der anderen, sondern er verletzt sich selbst.
Die Reaktionen der Polizisten als Vertreter der Exekutive oder eben auch des Gerichts als Legislative sind ein wesentlicher, einkalkulierter Bestandteil seiner Aktionen. Hiervon zeugen nicht zuletzt die großartigen Protokolle der Befragung durch den Untersuchungsführer, nachdem Pawlenski wegen seiner Aktion „Freiheit“ („Swoboda“) – als er zusammen mit anderen zur Unterstützung des Kiewer Maidans auf einer Brücke im Sankt Petersburger Zentrum Autoreifen und Motorhauben verbrannt hat – zuerst wegen geringfügiger Störung der öffentlichen Ordnung (Hooliganismus), dann wegen Sachbeschädigung angeklagt werden sollte. Sie lesen sich wie ein Schnellkurs in der Kunst- beziehungsweise Performancegeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts und führten schließlich sogar dazu, dass der Untersuchungsführer die Seiten wechselte.
Die Logik des Terrorismus
Jetzt sitzt Pawlenski wegen Sachbeschädigung aus politischem und ideologischem Hass (Vandalismus) in Untersuchungshaft. Genauer: Er ist in Haft, weil er sich weigert, eine Aussage zu machen, so lange sein Anklagepunkt nicht in Terrorismus umgewandelt wird. Hiermit spielt er auf die Verurteilung des ukrainischen Regisseurs Oleg Senzow im August dieses Jahres zu 20 Jahren Lagerhaft wegen Terrorismus an. Laut der Anklage sei Senzow angeblich der Kopf einer terroristischen Vereinigung, die unter anderem die Eingangstür zum Büro der „Russischen Gemeinde der Krim“ in Brand gesetzt habe.
Pawlenski sagte hierzu in einem Interview aus dem Gerichtssaal: „Der Staat ruft zum Kampf gegen den Terrorismus auf, und ich kämpfe gegen den Terror. […] [I]ch habe [die Senzow zur Last gelegte] Handlung wiederholt. Und dann muss man mich nach der Logik dieses Justizsystems nicht des Vandalismus verdächtigen, sondern des Terrorismus. Entweder ist es nach dieser Logik Terrorismus, oder es ist einfach eine Geste.“
Es bleibt abzuwarten, ob sich das Gericht angesichts einer derartigen juristischen Autoaggression des Künstlers in eine ebenso hilflose Position drängen lässt wie jene Polizisten, die Pawlenski auf dem Roten Platz lediglich schamvoll ein weißes Tuch überwarfen, um den exponierten Körper zu bedecken.
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