Nordirische Journalistin Lyra McKee: Eine unerschrockene Frau
In ihren Recherchen ergründete Lyra McKee die Facetten des Nordirland-Konflikts. Die Unruhen in Derry kosteten sie das Leben.
Dublin taz | Sie war ein „Ceasefire Baby“ – ein Waffenstillstands-Baby. So bezeichnete sie sich selbst. Der Begriff beschreibt die Generation der nordirischen Kinder, die den gewaltsamen Konflikt nicht bewusst erlebt haben. Lyra McKee wurde am 31. März 1990 in Belfast geboren, und zwar im Norden der nordirischen Hauptstadt. Ihre Straße in Cliftonville galt als „Mörder-Meile“, das Viertel hieß „Mörder-Dreieck“, weil dort während des politischen Konflikts mehr Menschen getötet wurden als anderswo in Nordirland, wenn man es auf die Fläche bezieht. Bei den jüngsten Unruhen in Derry wurde die 29-Jährige erschossen.
McKee war vier, als die Irisch-Republikanische Armee (IRA) 1994 ihren Waffenstillstand verkündete. Am Karfreitag 1998 wurde das Belfaster Friedensabkommen unterzeichnet. Journalistin schien sie schon früh werden zu wollen: Mit 14 begann McKee, für die Zeitung ihrer Schule, der St. Gemma’s High School, zu schreiben. Nur ein Jahr später bekam sie einen Platz in einem Ausbildungsprogramm für JournalistInnen und gewann 2006 einen Nachwuchspreis von Sky News. McKee besuchte die Birmingham City University und schloss ihr Studium im Online-Journalismus ab.
Ihren Durchbruch schaffte sie vor fünf Jahren mit einem Post auf dem Blog „The Muckracker“ namens „Brief an mich selbst als 14-Jährige“. Er handelte von den Problemen, als lesbisches Mädchen in Belfast aufzuwachsen. Die Geschichte wurde danach Gegenstand eines Kurzfilms. McKee war LGBTQ-Aktivistin und arbeitete als investigative Reporterin. In ihren Geschichten ergründete sie immer wieder die Facetten des Nordirland-Konflikts. Voriges Jahr erschien ihr Buch „Angels With Blue Faces“ über den IRA-Mord an dem Unterhaus-Abgeordneten Robert Bradford. Die Veröffentlichung hatte sie zuerst durch Crowd Funding finanziert.
Später gab ihr der Verlag Faber & Faber einen Vertrag für zwei Bücher. Ihren zweiten Roman „The Lost Boys“ über zwei Teenager, die 1974 in Belfast verschwunden sind, hat sie fertigstellen können. Das Buch erscheint nächstes Jahr. McKee schrieb unter anderem für den Belfast Telegraph, das Satire-Magazin Privat Eye und sie war Redakteurin bei Mediagazer, einer US-Webseite. 2016 nahm das Forbes-Magazin McKee in die Liste „30 unter 30 in den Medien“ auf.
Aufsehen erregte sie mit ihrer Recherche zur Suizid-Rate in Nordirland. Sie stellte fest, dass sich in den 16 Jahren nach Unterzeichnung des Belfaster Abkommens 3.709 Menschen umgebracht haben – mehr als während des knapp 30 Jahre dauernden Konflikts getötet wurden. Sie erklärte das damit, dass Kinder, die in Armut aufwachsen und deren Eltern und Nachbarn durch den Krieg traumatisiert sind, davon in Mitleidenschaft gezogen werden, auch wenn sie nie selbst etwas dieser Art erlebt haben.
Vor Kurzem ist McKee zu ihrer Partnerin Sara Canning nach Derry gezogen. Canning arbeitet als Krankenschwester im Altnagelvin-Krankenhaus. Dort ist McKee in in der Nacht zu Karfreitag an den Folgen der Schussverletzung gestorben, nachdem Maskierte bei einer Straßenschlacht auf die Polizei gefeuert und McKee getroffen hatten. Die Beamten nahmen am Samstag zwei tatverdächtige Männer fest: Der eine ist 18, der andere 19 Jahre alt.
In ihrer Recherche zu den Suizid-Raten beschreibt McKee ihren Besuch in einem Pub in einer protestantisch-loyalistischen Gegend: „Eines Abends endete ich in diesem Wirtshaus an einem Tisch mit meinem besten protestantischen Freund, mit mindestens zwei republikanischen Aktivisten und einem sozialistischen Corbyn-Anhänger. Die Zeiten haben sich gewandelt. Wäre ich zehn Jahre früher geboren, hätte ich mich nicht in diese Straßen getraut, geschweige denn in diesen Pub. Heutzutage ist es ungefährlich.“