Nordhorn Range: Käsekuchen gegen Bomben
Seit 37 Jahren kämpft Ursula Revermann gegen den Übungs- und Bombenabwurfplatz der Bundeswehr in Nordhorn. Anfang der Woche musste sie wieder protestieren.
Diese Frau, die am Morgen Käsekuchen, Apfelschorle und Kaffee in einen Korb gepackt hat, hat einen langen Kampf hinter sich. Einen, der noch längst nicht zu Ende geführt ist. Und auch dieser Tag, wenn Käsekuchen, Schorle und Kaffee verzehrt sein werden, wird nicht der letzte Tag sein, an dem sie losgezogen ist. Es ist ein Kampf, den sie ohne Waffen kämpft. Sie kämpft mit dem, was sie am Morgen eingepackt hat. Sie hat mehrere Klappstühle dabei, damit sie sich mal setzten kann zwischendurch. Ursula Revermann ist alt geworden über diesen Kampf, im Dezember wird sie 75, die Knie schmerzen nach einer Operation, aber trotzdem: Sie will dabei sein, auf der Straße, vor der Nordhorn Range, dem Übungsplatz, den Bundeswehr und Alliierte nutzen, um mit Flugzeugen Bomben punktgenau abzuwerfen.
Es ist der Tag, an dem Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung auf der Range erwartet wird. Er ist unterwegs auf einer Sommerreise zur Truppe. Es wird ein Kurzbesuch sein, die Soldaten grillen Würstchen für ihn, Frau Revermann wird er nicht begegnen. Er wird auch kaum etwas davon erfahren, dass sie mit dem Nordhorner Frauenbündnis und dem Arbeitskreis Frieden zu einer Demonstration gegen die Range aufgerufen hat. Es soll endlich Schluss sein mit diesem Bombenabwurfplatz, in dessen Einflugschneise Frau Revermann lebt. Es soll Schluss sein damit am Rande von Nordhorn in der Klausheide und auch sonst wo in Deutschland, es geht ihr genau so um das Bombodrom, den viel größeren Bombenabwurfplatz in Brandenburg, den die Bundeswehr gerne auch nutzen würde. Ein Gericht hat das abgelehnt, aber das Verteidigungsministerium ist in Berufung gegangen. Es will das Bombodrom, wie es die Nordhorn Range will, damit, wie es heißt und wie es Jung an diesem Tag mehrfach sagen wird, die Lasten gerecht verteilt werden zwischen Ost und West. Frau Revermann sagt: "Hier wird für Kriege geübt, in Afghanistan und anderswo."
Ursula Revermann kämpft seit 1971 gegen die Range, die diesen Namen trägt, weil der zwei Hektar große Platz seit dem Zweiten Weltkrieg von der britischen Royal Air Force genutzt wurde. Vorher flog dort die Wehrmacht und übte Bombentreffer, auf einem Gelände, dass Bertha Krupp von Bohlen und Halbach als Gut Klausheide gekauft hatte. Als die Royal Air Force 2001 abzog, kam die Luftwaffe. 1971 war das Jahr, als der Protest der Bevölkerung zur Blockade der Range führte, zumindest für ein paar Stunden. Damals entstand die "Notgemeinschaft gegen die Nordhorn Range", eine der ältesten Bürgerinitiativen Deutschlands, vielleicht die älteste. "Es war hauptsächlich der Lärm, gegen den wir protestierten", sagt Revermann, "das war furchtbar. Wir hatten Tannen im Garten, die haben die uns bald abrasiert", so niedrig flogen die Starfighter. Und die Leute hatten Angst, weil in der Nähe das Atomkraftwerk Lingen 1968 in Betrieb genommen worden war. Was, wenn ein Flugzeug dort hinein stürzte? Das Kraftwerk liegt nur zwei Flugsekunden von der Range entfernt.
Erst später wurde Revermann zur Pazifistin, die den Übungsplatz - im Bundeswehrjargon Luft-Boden-Schießplatz genannt - grundsätzlich ablehnte, "der Lärm, sagt sie, hat ja auch nachgelassen". Heute fliegen dort Tornados, die sind viel leiser als die Starfighter, außerdem hat die Bundeswehr die Flugtage reduziert. Während der Sommer- und Weihnachtsferien ist Fliegen untersagt, auch an Tagen, an denen in Klausheide Schützenfest gefeiert wird. Ihr geht es um Grundsätzliches, die Notgemeinschaft ist ihr zu wenig entschlossen, was das angeht. Die wollten ja nur die Range weghaben, aber es sei ihnen egal, wenn es irgendwo anders Plätze für Schießübungen gebe. Das ist ihr zu wenig, trotzdem ist sie froh, dass sich die Notgemeinschaft der Demo angeschlossen hat. Weil sie dann ein paar Leute mehr sind - und schließlich kämpfen sie ja doch gegen dasselbe: Die Range muss weg.
Damals, bis in die Achtziger, zogen die Nordhorner und die Menschen aus der Region zu Zehntausenden auf die Straße, Schüler schwänzten die Schule und riefen: "Schule hat heut keinen Zweck, die Nordhorn Range muss weg." Andere Zeiten, wenn man das Häuflein von etwa 80 Demonstranten anschaut, dass sich mittags auf den Weg gemacht hat. Dorothea Steiner, die Landesvorsitzende der Grünen, ist da, aus Brandenburg ist Kirsten Tackmann, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, mit ein paar Leuten angereist, zu ihrem Wahlkreis gehört das Bombodrom. Dann spricht Nordhorns Bürgermeister Meinhard Hüsemann, ein aufrechter SPD-Mann, der genauso enttäuscht wie alle hier ist, dass der damalige Ministerpräsident Gerhard Schröder sein Versprechen nicht hielt. Er hatte gesagt, er werde die Range schließen, wenn er erst Kanzler sei. Später trifft er Verteidigungsminister ein und sagt, was er immer sagt: Die Bundeswehr brauche den Platz, sie brauche auch das Bombodrom. Es gehe um eine gerechte Lastenverteilung. Dann besteigt Jung den Hubschrauber, der viel Staub aufwirbelt und ihn wieder weg fliegt. Frau Revermann blickt ihm hinterher, isst mit den Brandenburgern den Käsekuchen und schenkt Kaffee aus. Sie wird weiter kämpfen, egal was Jung gesagt hat, egal, wie lange es die Range noch geben wird.
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