Nordderby: Auferstehung und Niedergang
Werder Bremen besiegt den Hamburger SV in der Fußball-Bundesliga mit 2:0. Zugleich feiern die Bremer die Rückkehr des lange verletzten Naldo, während beim HSV der Druck auf Trainer Oenning steigt.
BREMEN taz | Wäre dieses Spiel eine Inszenierung gewesen, im Film oder Theater, die Kritiker hätten Regisseur Thomas Schaaf einen ungewohnten Hang zum Kitsch vorgeworfen. Die Partie schien in der 85. Minute bereits auf dem emotionalen Höhepunkt angekommen, die 40.000 Bremer Zuschauer im ausverkauften Weser-Stadion feierten den Derbysieg gegen den Erzrivalen HSV mit stehenden Ovationen - da entschloss sich der Vernunftmensch Schaaf noch einen draufzusetzen. Und wechselte für den zweifachen Torschützen Claudio Pizarro einen schon verloren geglaubten Spieler ein.
Nach sechzehn Monaten betrat Naldo das erste Mal wieder die Bundesliga-Bühne und das Publikum feierte den Moment wie eine Auferstehung. So sehr hatte der brasilianische Innenverteidiger den Fans während der vergangenen Angst-Saison gefehlt, und so sehr mussten sie zwischendurch befürchten, ihn aufgrund seiner schweren Knieverletzung überhaupt nicht mehr zu sehen. Und natürlich hatte Naldo auch noch Geburtstag. "Wir brauchen solche Momente", interpretierte Schaaf seine Schlussszene und machte aus dem Rühr- doch noch ein Lehrstück. "Damit auch andere Spieler sehen, dass sie es schaffen können."
Dieser Moment dokumentierte aber auch die Auferstehung einer Mannschaft, die nach den miserablen Leistungen in der Vorsaison und vereinsinternen Querelen in der Sommerpause kaum jemand mehr auf dem Zettel hatte. Und eines Trainers, der sich fast täglich fragen lassen musste, ob es nicht langsam mal an der Zeit wäre, etwas anderes zu machen, als Werder Bremen zu trainieren.
Stattdessen hat Schaaf der Mannschaft - im wahrsten Sinne - wieder Beine gemacht. Woche für Woche zählen die Statistiker bei ihr mehr gelaufene Kilometer als bei den anderen Bundesligateams. Den neuen internen Konkurrenzkampf im Nacken sind die letztjährigen Schleicher Aaron Hunt und Marko Arnautovic kaum zu bremsen. Über die Außenpositionen machen die Neulinge Sokratis, Debütant Aleksandar Ignjovski und der gegen den HSV pausierende Lukas Schmitz lange vermissten Druck.
Seit Samstag ist auch klar, dass die Innenverteidigung mit Sebastian Prödl, Andreas Wolf und Naldo den Abgang von Per Mertesacker kompensierten kann. Wie unverzichtbar ein gesunder Claudio Pizarro für die Bremer ist, ist hingegen nichts Neues.
Dessen Abschlussqualität in der 52. und 78. Minute machte gegen einen zäh und kompakt dagegen haltenden HSV wieder einmal den entscheidenden Unterschied aus. Pizarros Pendant Mladen Petric scheiterte zweimal völlig freistehend am überragenden Tim Wiese.
Ein Unentschieden hätten die Hamburger trotz ihrer besten Saisonleistung allerdings nicht verdient gehabt. Zu bieder agierten David Jarolim und Robert Tesche in der Zentrale und die Außen Marcel Jansen und Per Skjelbred waren bei den zweikampfstarken Sokratis und Ignowski abgemeldet. So warteten Petric und Paolo Guerrero meist vergeblich auf verwertbare Pässe.
Hamburgs Marcell Jansen sah das allerdings genau anders herum: "Uns hat einer wie Pizarro gefehlt. Viele Bälle sind durch den Strafraum geflogen, aber keiner war da, um sie reinzumachen." Das blieb nicht die einzige interne Schuldzuweisung beim HSV. "Pizarro dreht sich vorm 2:0 um drei Leute herum - das geht nicht", knöpfte sich David Jarolim seine Innenverteidigung vor. Dabei war es hauptsächlich das solide Auftreten des Duos Westermann/Rajkovic, das Michael Oennings Optimismuns rechtfertigte, "eine Entwicklung" gesehen zu haben.
Fehlende Geschlossenheit ist nichts Neues beim HSV. Bedenklich ist für die stark unter Druck stehenden Michael Oenning und Frank Arnesen zudem der ungewöhnliche Auftritt eines Mannes, der im Moment gar keine Funktion beim HSV hat. Als die Mannschaft schon im Bus saß, gab in der Mixed Zone einer noch lange Interviews, dessen Rückkehr bei den Fans des HSV ähnliche Emotionen auslösen könnte, wie sie die Bremer am Samstag erleben durften: Ex-Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer. Der lebt wieder in Hamburg und ist zur Zeit ohne Job. Eine Facebook-Seite "Beiersdorfer zurück zum HSV" gibt es schon.
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