Nockherberg 2018: Jetzt trinken wir nochmal auf Horst
Beim Starkbieranstich geht es um die CSU-Rivalen Seehofer und Söder, na klar. „El Marco“ als neuer Zampano schickt Horst in die Wüste.
Der schwärmt von ihr, spricht gar von einer über die Jahre entstandenen Bindung, bis die Kabarettistin ihm schließlich die Hand auf den Arm legt und sagt: „Alles Gute in Berlin! Ich bleibe in Bayern.“ Und dann, zu schnell, als dass Kinseher die Flucht hätte ergreifen können, beugt sich Seehofer zu ihr herab und umarmt sie zum Abschied. Als er von dannen zieht, fragt ein Journalist: „War das jetzt zu viel?“ Kinseher antwortet bestimmt: „Ja.“
Aber so ist es auf dem Nockherberg. Dieses eigenartige einmal im Jahr stattfindende Schauspiel hat seine eigenen Regeln. Nähe und Distanz, Gaudi und Ernst, alles verschwimmt. Kurz zuvor hat sich Seehofers Nachfolger Markus Söder – wie jedes Jahr – mit seinem Double Stephan Zinner und zwei steinernen Masskrügen ablichten lassen und ein paar Meter weiter herzt die bayerische SPD-Chefin Natascha Kohnen das ihre.
Fastenpredigt und Singspiel
Kurze Erklärung für die, die man hier Preißn nennt: Eigentlich geht es bei der Veranstaltung um Bier, genau genommen den Salvator, einen Doppelbock mit fast acht Prozent Alkohol. Doch seit 1891 ist die Starkbierprobe zugleich auch Schauplatz der Fastenpredigt und mittlerweile auch des Singspiels. Und ein Straßenfeger: Rund zwei Millionen Zuschauer zählt der Bayerische Rundfunk jedes Jahr an diesem Abend. Politiker, vor allem anwesende, werden hier „derbleckt“ – wie es im bairischen Fachjargon heißt. Es ist Hofnarrentum, Wahrheit, die nicht wehtut. In Wirklichkeit tut sie es natürlich das eine oder andere Mal doch, aber dann gilt die eiserne Regel: es auf keinen Fall zeigen!
Der Wilde Westen, Texas, muss im diesjährigen Singspiel als Projektionsfläche für das Schauspiel herhalten, das bayerische Politiker daheim und im Bund bieten. In der Ferne heult ein Kojote. Oberbürgermeister Dieter Reiter residiert in der Town Hall, ein Kaktus dient als Maibaum, der Totengräber als finsterer Einflüsterer. „Alles für Dahingeschiedene“ hat der Bestatter im Angebot – wie man das abkürzt, liegt auf der Hand. „Die glorreiche 7“ soll das Städtchen vor den Indianern schützen. Die Heimat muss schließlich verteidigt werden. Heimat ist ein zentrales Motiv der Story. „Dahoam ist die Heimat zu Hause“, singt Reiter. „Zuhaus’ ist daheim, zuhaus’ is daheim – zwengs am Reim.“ Kohnen sagt: „Ich habe meine Heimat echt supergern.“ Und Söder resümiert: „Wer seine Heimat liebt, versiegelt sie.“
An der Spitze des Heimatschutzes, klar, eben dieser Söder: El Marco, seines Zeichens Revolver-, vor allem aber Maulheld. Aber dann ist da noch der andere, „der von früher“, den man irgendwie nicht los wird. Irgendwann greift El Marco zur Gitarre: „Sieh es ein, alter Chorst, du musst jetzt gehen“, singt er. „Du durftest viel erreichen, nun solltest du dich schleichen.“
Das Singspiel hat es nicht leicht in diesem Jahr. Die Maßstäbe, die der bayerische Erfolgsregisseur Marcus H. Rosenmüller und sein kongenialer musikalischer Partner Gerd Baumann in den vergangenen Jahren gesetzt haben, sind sehr hoch. Die neuen Macher Richard Oehmann und Stefan Betz liefern mit „Die glorreiche 7“ ein solides und vergnügliches Stück ab, wenn auch weniger vielschichtig und musikalisch in einer anderen Liga. Ein bisschen „Schuh des Manitu“, ein bisschen Bauerntheater.
Am Ende haben sie dafür einen wirklich überraschenden Gastauftritt in petto: Da fallen nämlich tatsächlich die Indianer in Reiters Städtchen ein, und zwar in Person des Halbblut Apanatschi – gespielt von Uschi Glas, die dieselbe Rolle schon vor über 50 Jahren in einem der Winnetou-Filme gespielt hat. Diesmal allerdings ist das Halbblut eine Immobilien-Heuschrecke. „Heimat muss man sich halt auch leisten können“, sagt sie.
Es gab so einige Überraschungen an diesem Abend, etwa auch dass Seehofer und Söder jetzt befreundet seien, wie Kinseher in ihrer Fastenrede berichtete. „Nicht miteinander, aber es ist schon mal ein Anfang.“ Zum neuen Bundesheimatminister Seehofer meint sie: „Ich frag mich nur – wie geht es da einem Oberlausitzer? Der Oberlausitzer denkt sich doch – kaum ist der Russe weg, kommt der Bayer!“ Und dann heben alle im Saal noch einmal die Krüge. „Jetzt trinken wir alle noch einmal auf den Horst“, sagt Mama Bavaria. „Was Besseres kommt nicht nach.“
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