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Noch sind Ruandas Sieger unter sich

Die neuen Herrscher in Ruandas Hauptstadt gehen erste zaghafte Schritte zum Wiederaufbau des Staatswesens und hoffen bei ihren Anhängern wie bei ihren Gegnern auf Versöhnungsbereitschaft  ■ Aus Kigali Bettina Gaus

Der Fahrer am Steuer kann es kaum fassen. Er winkt begeistert mit dem rechten Arm, strahlt über das ganze Gesicht, mag den Blick nicht wieder auf die Straße wenden: Er hat einen Bekannten entdeckt. „Wenn man in diesen Tagen jemanden trifft, den man kennt, dann ist es ein Wunder. Er lebt!“ Die Freude schüttelt seinen ganzen Körper.

Kigali ist noch immer eine leere Stadt. Nur ein paar tausend Menschen leben hier. Die große Mehrheit ist vor dem Bürgerkrieg geflohen, andere sind getötet worden. Noch gibt es in Ruandas Hauptstadt keinen Strom, kein Telefon und nur in wenigen Stadtteilen fließend Wasser. Aber erste Zeichen weisen auf einen Neubeginn hin: Müll wird von den Straßen geräumt und verbrannt. In Hotels scheuern Angestellte die Eingangshallen und möblieren Zimmer mit dem, was vom Inventar noch heil geblieben ist. Die ersten Geschäfte haben wieder geöffnet. An kleinen Marktständen werden Tomaten, Zucker, Waschpulver und Süßkartoffeln feilgeboten. Benzin ist an Tankstellen erhältlich, für einen geringeren Literpreis als im benachbarten Uganda.

Wer dem Blutbad in Kigali entronnen ist, der kann sich nun wieder frei bewegen. Manche haben all die Monate seit dem Tod von Präsident Juvénal Habyarimana am 6. April hier in beständiger Angst vor Massakern und Bomben verbracht – versteckt in Wassertanks, zwischen Dachplatten oder einfach auf dem Boden kauernd.

Célestin Mudenge hat vor dem Krieg als Hausangestellter gearbeitet. Er gehört zur Tutsi-Minderheit, deren Angehörige zu Tausenden von der berüchtigten Habyarimana-nahen Miliz „Interahamwe“ massakriert worden sind: „Es war der Chef der Interahamwe hier, der mir geholfen hat. Er hat mir gesagt: Ich kenne dich genau, ich müßte der erste sein, der dich umbringt. Aber bleib ruhig, es gibt kein Problem. Er war sehr freundlich. Aber andere hat er umgebracht.“ Célestin Mudenge lacht – und ist gleichzeitig ratlos. „Er war mein Nachbar. Vor dem Krieg waren wir Freunde.“

Mudenges Helfer ist entkommen, kurz bevor Kigali Anfang Juli von der Rebellenbewegung RPF (Ruandische Patriotische Front) erobert wurde. Insgesamt sind mehr als zwei Millionen Ruander über die Grenzen in Nachbarländer geflohen.

„Es müßte eine Amnestie geben. Sonst kommt das Land immer noch nicht zur Ruhe“, meint Charles Bwanakwell, ein Soldat der RPF. Er gehört eigentlich nicht zu denen, von denen eine solche Haltung zu erwarten ist: Vor zwei Monaten sind seine Eltern Opfer eines Massakers geworden. Seine Verlobte hat ein Blutbad schwer verletzt als einzige unter einem Berg von Leichen überlebt. Wünscht Charles Bwanakwell denn keine Vergeltung, will er die Mörder denn nicht sühnen sehen? „Wir können nicht das ganze Volk ins Gefängnis stecken. Es waren viel zu viele, die an den Massakern beteiligt waren.“

Einschußlöcher in Gebäuden und Barrikaden von Sandsäcken vor Türen und Fenstern erinnern an den Kampf um die Hauptstadt. Die Stimmung jedoch ist freundlich und entspannt: RPF-Soldaten scherzen mit vorbeikommenden Passanten, Fremde auf der Straße entbieten einander höflich den Tagesgruß. Man ist noch unter sich. Wer sich heute in Kigali zeigt, gehörte nicht zu den Anhängern des alten Regimes.

Aber die Schutzschicht von Eintracht und Harmonie ist dünn. Selbst Kinder sind vom Bürgerkrieg gezeichnet. „Die größeren Kinder spielen immer ,ich hack' dir jetzt die Arme ab‘“, erzählt die Kinderkrankenschwester Ulrike Holzhauser vom „Deutschen Notärztekomitee“, die in einem Waisenhaus in der Nähe von Kigali arbeitet. „Ich denke, das ist eine Form, wie sie halt verarbeiten, was passiert ist.“

Ruandas neuer Vizepräsident Paul Kagame, bislang Oberkommandierender der RPF, glaubt, daß die Wunden, die das Blutbad geschlagen hat, allzu tief sind und deshalb der Gerechtigkeit Genüge getan werden muß. Er will diejenigen, die für die Massaker verantwortlich waren, vor Gericht gestellt sehen. „Die Zahl der Verbrechen war zu groß. Wenn es eine Amnestie gäbe, würde damit eine sehr gefährliche Situation heraufbeschworen. Es käme zu einer Welle von Racheakten.“

Zu denen kommt es offensichtlich bereits jetzt. Regierungskreise haben gegenüber der taz erklärt, daß RPF-Truppen im Landesinneren Massenerschießungen verübt haben. „Aber zitieren Sie mich nicht namentlich.“ Nein, der Informant glaubt nicht, daß hochrangige Kommandeure wie Paul Kagame derartige Gewaltakte gutheißen: „Er ist ein aufrechter Mann. Aber ob er die Kontrolle über all seine Leute hat?“

Das wird sich bald zeigen. Die erste Nagelprobe steht der Regierung schon bevor: Viele Häuser und Geschäfte in Kigali, die Flüchtlingen gehören, stehen nicht mehr leer. RPF-Soldaten, Politiker und Exilruander, die nach dem Sieg der von ihnen unterstützten Rebellenbewegung hier angekommen sind, haben von ihnen Besitz ergriffen. Andere Villen sind noch unbewohnt, aber schon mal vorgemerkt: „Besetzt“ steht auf großen Zetteln, die an die Gartentore geklebt sind.

Offizielle Linie des Kabinetts sei das nicht, versichern Paul Kagame und Premierminister Faustin Twagiramungu in bester Übereinstimmung. „In Nachkriegszeiten bricht die Ordnung zu einem gewissen Grad zusammen“, erklärt Kagame. „Aber es gibt keine Regierungspolitik, die erlaubt, Häuser zu beschlagnahmen. Eigentum sollte auf legale Weise erworben werden.“ Premierminister Twagiramungu ergänzt: „Jeder Eigentümer wird sein Haus zurückbekommen. Wir können Leuten nicht erlauben, Gebäude zu besetzen, die ihnen nicht gehören.“

Die Eigentumsfrage ist eine tickende Zeitbombe. Wenn sich RPF-Truppen und heimkehrende Exilruander um das gebracht sehen, was sie für die rechtmäßigen Früchte ihres Sieges halten, kann gefährliche Unzufriedenheit entstehen. Und was ist in Ruanda schon Gerechtigkeit? Die RPF hatte 1990 unter anderem den Kampf aufgenommen, um Tausenden von Tutsi-Flüchtlingen und ihren Nachkommen die Heimkehr zu ermöglichen, die Ende der 50er Jahre geflohen waren, als die Hutu-Mehrheit die bis dahin herrschende feudalistische Tutsi-Minderheit von der Macht vertrieben hatte. Ein naheliegender Fall: Eine Familie, die damals geflohen ist, verlangt jetzt ihren Besitz zurück. Der aber hat inzwischen dreimal den Eigentümer gewechselt – und der letzte in der Reihe hat sein gesamtes Vermögen hineingesteckt. Rückgabe vor Entschädigung? Hier wird der Grundstein für die Konflikte der Zukunft gelegt.

Die neue Regierung in Ruanda findet erste Anerkennung im Ausland. Der Botschafter der USA ist nach Kigali zurückgekehrt. Abgeordnete des Europäischen Parlaments reisten zu einem Besuch an, der deutsche Botschafter in Uganda und ein SPD-Bundestagsabgeordneter führten politische Gespräche mit Kabinettsmitgliedern. UNO-Vertreter preisen die Kooperationsbereitschaft der neuen Autoritäten.

Aber die Ministerrunde ist noch keine handlungsfähige Einheit: „Ich bin hier wie abgeschnitten“, erklärt Premierminister Twagiramungu, der seine Amtsgeschäfte von einer Suite im obersten Stock des Méridien-Hotels aus führt. „Ich kann nicht einmal schnell den Außenminister anrufen. Wir haben keine Telefone. Und wir können nicht mit der Bevölkerung in Kontakt treten. Wir verfügen nicht über eine Radiostation.“

Schwerer noch als die technischen Probleme wiegen inhaltliche Gräben, die die verschiedenen politischen Strömungen voneinander trennen: Der Präsident Pasteur Bizimungu und 8 von 22 Ministern gehören zur RPF, einer militärischen Organisation mit zentralistischer Kommandostruktur. Der Premierminister und die anderen Kabinettsmitglieder kommen aus den Reihen ziviler Oppositionsparteien, die zu Zeiten des alten Regimes um die Demokratisierung der Gesellschaft gekämpft hatten. Zu ersten Konflikten ist es zwischen diesen Gruppen bereits gekommen. Der Präsident hat erklärt, allgemeine Wahlen seien erst nach einer Übergangszeit von fünf Jahren möglich – der Premierminister hat ihm widersprochen: „Es gibt keine Übergangszeit von fünf Jahren. Das wäre ein Mandat. Übergang muß kurz sein und zu Wahlen führen“, so Faustin Twagiramungu.

Drei Ministerposten sind noch immer nicht besetzt. Als Zeichen der Bereitschaft zur nationalen Versöhnung hat die Regierung bei Mitgliedern der früheren Einheitspartei, die nicht an Massakern beteiligt waren, angefragt, ob sie zur Mitarbeit zur Verfügung stünden. „Ich kann Ihnen die Namen nennen“, sagt Paul Kagame. Sie sind in Ruanda bekannt: Unter ihnen sind ein ehemaliger Verteidigungsminister, ein früherer Premier und ein prominenter Banker. Angenommen hat die Offerte eines Ministerpostens keiner der Befragten. „Sie sind von Leuten des alten Regimes bedroht worden“, meint der Vizepräsident, und erstmals zittert die Stimme des unterkühlt intellektuell wirkenden Politikers vor Empörung.

Noch ist offen, wer im politischen Spiel der neuen Kräfte in Ruanda die Oberhand gewinnen wird. „Wir müssen die RPF und die Regierung säuberlich voneinander getrennt halten“, betont Twagiramungu. „Alle sollen wissen, daß die Regierung die oberste Autorität ist.“ Da mag es Leute geben, die das anders sehen. An Straßensperren aus alten Getränkekisten, hängen Pappschilder: „RPA-Checkpoint“. Fast unbemerkt ist aus dem „F“ ein „A“ geworden, aus der „Front“ eine „Armee“.

„Wir müssen alle Ruander in die nationalen Streitkräfte mit einbeziehen“, erklärt Kagame. Durch die UNO sei auch Kontakt zu Kommandeuren der alten Armee aufgenommen worden, die sich sicher keiner Kriegsverbrechen schuldig gemacht hätten. Von zehn Offizieren sei bekannt, daß sie zurückkommen wollten. Es sei auch notwendig, einen Teil der RPF- Truppen zu demobilisieren und gleichzeitig Männer aus der Bevölkerung zu rekrutieren, die bisher keine Soldaten gewesen seien. Derartige Pläne dürften bei den siegreichen Kämpfern der RPF auf wenig Gegenliebe stoßen.

Gegenwärtig schafft sich die Regierung erst einmal die Strukturen, die sie zum Regieren braucht. In ungefähr einem Monat soll das neue Parlament zusammentreten. Die Abgeordneten werden von den Parteivorsitzenden bestimmt. An einem Verfassungsentwurf, basierend auf der Verfassung von 1991 und dem im letzten Jahr unterzeichneten Friedensvertrag von Arusha, wird gearbeitet. „Oberste Priorität ist jetzt, die Flüchtlinge zurückzubringen“, erklärt Premierminister Twagiramungu. „Wir wollen nicht, daß unsere Leute im Ausland sterben, wir brauchen sie hier. Ohne Bevölkerung gibt es keine Produktion, keine Wirtschaft, und auch keine Politik.“

Aber die Flüchtlinge kehren nur zögernd in ihre Heimat zurück. Unsicherheit ist auch bei manchen von denen spürbar, die sich zur Heimkehr entschlossen haben: „Ich glaube, daß die RPF-Leute unsere Freunde sind“, sagt Schadrak Mbanzilika, der aus Goma nach Kigali gekommen ist. „Ich glaube, es wird Frieden sein. Aber ich sehe nicht in ihre Herzen.“

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