Nobelpreisträger Pachauri über Klimawandel: "Ihr steigt um, dann folgen wir"
Der Friedensnobelpreisträger und Chef des Weltklimarats, Rajendra Pachauri, betont die Vorbildrolle der Industriestaaten, um den Klimawandel zu stoppen. Und die Welt sollte Obama folgen.
taz: Herr Pachauri, kann der Klimawandel wirksam begrenzt werden, wenn Länder wie China und Indien sich nicht auf konkrete Reduktionsziele verpflichten?
RAJENDRA K. PACHAURI, 68, ist einer der weltweit renommiertesten Klimawissenschaftler. Der Inder ist seit 2002 der Vorsitzende des Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change). 2007 nahm er stellvertretend für den IPCC und zusammen mit dem ehemaligen Vizepräsidenten Al Gore den Friedensnobelpreis entgegen. In Indiens Hauptstadt Delhi leitet der Ingenieur und Ökonom, der in den USA promovierte, mit dem The Energy und Resources Institute (Teri) eine der einflussreichsten indischen Umweltorganisationen.
Der Weltklimarat ist ein zwischenstaatlicher Ausschuss für den Klimawandel. Das internationale Wissenschaftlergremium mit Sitz in Genf trägt den Kenntnisstand der internationalen Klimaforschung zusammen und stellt sie dem Verhandlungsprozess zur Verfügung. Die meisten Staaten sind Mitglied im Weltklimarat. Im Februar 2007 stellte der Weltklimarat in Paris seinen vierten Bericht über die Folgen des Klimawandels vor und schlug so deutlich Alarm wie nie zuvor.
Rajendra K. Pachauri: Wir müssen die Weltöffentlichkeit darüber aufklären, dass Indien und China in einer anderen Liga spielen. In Indien zum Beispiel betragen die Emissionen nur etwa eine Tonne pro Person. In den USA sind es über 20 Tonnen. In Indien haben mehr als 400 Millionen Menschen keinen elektrischen Strom. Sollen wir denen etwa sagen, dass sie niemals Strom bekommen dürfen?
Ihre Antwort lautet vermutlich "Nein".
Wenn für die Elektrizität produziert wird, kommt die aus Kohle. Die Industrieländer haben sehr lange Kohle benutzt. Wir sagen ja nicht, dass wir sie genauso lange benutzen wollen. Aber wenigstens für die Zeit, in der wir die Armut beseitigen können. Wenn das nicht möglich ist, wie sollen wir uns denn jemals erneuerbare Energien leisten können, deren Kosten zurzeit noch so hoch sind? Die Menschen in den Industrieländern müssen diese Realität verstehen. Man kann doch von den Ärmsten der Armen nicht verlangen, dass sie das Gleiche machen wie die Reichen. Das ist auch eine Frage der Ethik. Vor allem die Armen werden vom Klimawandel betroffen sein, und deshalb muss ihnen geholfen werden.
Wird Indiens Mittelschicht nicht bald vom Motorrad auf den Nano, einen neuen Kleinwagen zum Preis von 2.000 Euro, umsteigen und damit das Klimaproblem verschärfen?
Ja, deshalb sollten wir in Indien stärker in Nahverkehrssysteme investieren. Der Nano ist ein Beispiel dafür, dass die Werbeindustrie überall auf der Welt den Menschen einredet, sie bräuchten ein Auto für die ganze Familie und dass dies Glück schlechthin bedeutet. All dies weckt den Wunsch, ein Auto zu besitzen.
Was kann man dagegen tun?
Die ganze Philosophie dahinter muss sich ändern. Unsere Träume werden von dem genährt, was wir in den Industrieländern sehen. Jeder hier möchte ein Auto und eine Klimaanlage, weil das in den reichen Ländern als gutes Leben gilt. Und jeder hier, dessen Einkommen steigt, will sich genau das zulegen. Einen Wandel wird es aber nur geben können, wenn eingesehen wird, dass dieses Modell nicht mehr funktionieren kann. Das ist ein weiterer Grund, warum der Wandel in den Industrieländern beginnen muss. Denn wenn ihr nicht umsteuert, werden wir weiter eurem Weg folgen, weil der als Fortschritt gilt.
In Indien schmelzen bereits die Gletscher des Himalaja. Müsste Indien nicht auch aus eigenem Interesse das Klima stärker schützen?
Sicher, aber wir in Indien tragen nun einmal nur 4 Prozent zum weltweiten Ausstoß der Treibhausgase bei. Selbst wenn wir das halbierten, welchen Unterschied würde das machen? Die Hauptlast liegt bei den Industrieländern. Es ist ein globales Problem, das eine globale Antwort erfordert. Stößt ein Land 20 oder 25 Prozent aller Klimagase aus, müssen wir dort beginnen.
Die EU hat sich ein Reduktionsziel für Kohlendioxid von 20 bis 30 Prozent bis 2020 formuliert gegenüber dem Basisjahr 1990. Reicht das?
Das ist ein guter erster Schritt, aber die Welt muss noch viel mehr unternehmen. Wenn wir den weltweiten Temperaturanstieg auf 2 Grad beschränken wollen, haben wir jetzt nur noch sechs Jahre für einen weiteren Anstieg der Emissionen. Danach müssen sie zurückgehen, das haben wir im vierten Bericht des Weltklimarats klar gesagt. 2015 ist also das Wendejahr. Dafür dürften die von der EU genannten Zahlen nicht ausreichen.
Welche Rolle kommt Europa in der Klimapolitik zu?
Die EU hat eine Führungsrolle, und es ist wichtig, dass sie diese Position behält. Damit ist sie auch ein machtvolles Beispiel für die USA. Sollte die EU aus irgendeinem Grund zögern, wird es in den USA Kräfte geben, die das ausnutzen und versuchen werden, die Regierung dahingehend zu beeinflussen, dass sie selbst weniger unternimmt. Diese Herausforderung muss die EU annehmen und Führungsstärke demonstrieren.
Wie wirkt sich die globale Finanz- und Wirtschaftskrise auf die internationale Klimapolitik aus?
Angesichts der ökonomischen Krise scheinen wir gerade die wissenschaftlichen Erkenntnisse im Hinblick auf den Klimawandel aus den Augen zu verlieren. Kurz- und mittelfristig nimmt die Krise natürlich der Klimapolitik die Aufmerksamkeit. Aber der Klimawandel kann jetzt nicht ignoriert werden. Die Wirtschaftskrise hält wahrscheinlich ein, zwei oder drei Jahre an. Der Klimawandel ist ein viel langfristigeres Problem, und es gibt Synergien beim Umgang mit der Wirtschaftskrise und dem Klimawandel. So kümmert sich etwa US-Präsident Barack Obama gleichzeitig um Klimaschutz und die Wiederbelebung der Wirtschaft. So einen Ansatz brauchen wir in jedem Land.
Mit Milliarden Dollar werden Programme verabschiedet, die angeschlagene Banken und Industrien stützen sollen. Können angesichts dieser gigantischen Ausgaben überhaupt noch die für den Klimaschutz notwendigen Mittel aufgetrieben werden?
Nach meiner Schätzung werden zurzeit etwa 2,7 Billionen Dollar für diese Stabilisierungs- und Konjunkturprogramme ausgegeben. Der Klimaschutz würde aber nur einen Bruchteil kosten. Wir sind offenbar bereit, so viel Geld auszugeben, um die zu retten, die das Problem verursacht haben. Wir sind aber noch nicht vorbereitet, um das Problem zu lösen. Es gibt keinen Grund, warum wir die für den Klimaschutz benötigten Mittel nicht bereitstellen können.
Wie viel würde es denn kosten, um die Klimaerwärmung auf die angestrebten maximal 2 Grad zu begrenzen?
Das muss jedes Land für sich erarbeiten, aber es wird nicht viel kosten. Viele Maßnahmen könnten sogar Geld einsparen helfen, zum Beispiel die Streichung von Subventionen und falschen Preisanreizen. Vor allem wird es den Gesellschaften besser gehen: mehr Energiesicherheit, mehr Jobs und viele lokale Vorteile.
Wie könnte ein "New Green Deal" konkret aussehen?
Wir müssen Energien aus Sonne, Wind und Biomasse fördern mit entsprechenden Signalen an die Privatwirtschaft, also etwa günstige Kredite, Steuernachlässe oder direkte Subventionen. Auch müssen die Anstrengungen im Bereich Forschung und Entwicklung verstärkt werden, zugleich müssen Kohlendioxidemissionen kostenpflichtig werden, das wäre ein sehr starkes Signal zum Umsteuern.
Wird sich die internationale Gemeinschaft in Kopenhagen auf ein Nachfolgeabkommen für das Kioto-Protokoll einigen?
Ich bin optimistisch, weil es überall auf der Welt ein großes Bewusstsein dafür gibt, dass die Welt gegen den Klimawandel handeln muss. Die meisten politischen Führer und die Öffentlichkeiten haben das Problem inzwischen erkannt. Es geht jetzt darum, dass jemand die Führung übernimmt. Und hier hat Präsident Barack Obama eine sehr wichtige Rolle zu spielen. Wenn er einen Kurswechsel vollzieht und zu handeln beginnt, wird dies auch in anderen Ländern entsprechende Aktivitäten gegen den Klimawandel auslösen.
Glauben Sie, Obama wird die versprochenen Maßnahmen zum Klimaschutz wirklich umsetzen können?
Das wird nicht einfach sein, er wird viele Widerstände überwinden müssen, aber er hat sicher die Fähigkeit, zu seinen Überzeugungen zu stehen. Ich hoffe, dass er das auch kann. Ich möchte die Schwierigkeiten damit nicht kleinreden, denn es gibt materielle Interessen. Und die Lobbyisten werden versuchen, alles zu blockieren. Und es wird auch Schmerzen bei dieser Anpassung geben. Wenn man jetzt die Operation nicht durchführt, dann wird alles nur noch schlimmer.
Wie könnte im Hinblick auf die Weltklimakonferenz in Kopenhagen im Dezember eine gerechte Lastenteilung aussehen?
Sie sollte nach dem Prinzip einer gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung erfolgen und mit den Industrieländern beginnen. Wenn dies der Fall ist, werden die Entwicklungsländer folgen. Kein Entwicklungsland wird sich vor der Verantwortung drücken, denn die Entwicklungsländer werden unter dem Klimawandel am stärksten leiden.
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