Nobelpreisjury-Skandal in Schweden: Flucht vor der Wahrheit
Dichterin Katarina Frostenson hat ein Rechtfertigungsbuch über ihre Rolle im Skandal der Nobelpreisjury geschrieben. Kolleginnen sind entsetzt.
Katarina Frostenson ist Lyrikerin. 1992 war sie in die Schwedische Akademie gewählt worden. Zusammen mit ihrem Ehemann Jean-Claude Arnault stand sie im Mittelpunkt des Skandals, der die Institution, die alljährlich die TrägerInnen der Literaturnobelpreise bestimmt, in eine bis heute andauernde Krise gestürzt hat. Im Zuge der MeToo-Enthüllungen hatten im November 2017 erst 18 und dann über 30 Frauen den jetzt 72-jährigen Arnault sexueller Schikanen und Übergriffe beschuldigt. Wegen Vergewaltigung in zwei Fällen ist Arnault mittlerweile rechtskräftig zu zweieinhalbjähriger Haftstrafe verurteilt worden.
Frostenson verließ mit einer lebenslänglichen monatlichen Entschädigung im Januar 2019 die Akademie. „K“ lautet der Titel des Buchs, in dem sie ihre Version des ihr und Arnault vermeintlich zugefügten Unrechts und der ihnen „aufgezwungenen Flucht vor Verfolgung und Verleumdung“ erzählt. Sie rechnet mit Schweden als „Land der Bauernschlauen“ ab, wo die Menschen „schadenfroh zuschauen, wenn andere zusammenbrechen und stürzen“, und beklagt sich darüber, wie sie „dem Wittern der Raubtiere nach Blut, nach mehr Opfern, nach noch mehr Blut“ ausgesetzt gewesen sei. Und sie beteuert ihre und Arnaults Unschuld: „Wie verteidigt man sich gegen etwas, was nie passiert ist, was gelogen ist?“ Das sei unmöglich, wie bereits Ovid geschrieben habe.
Die Beschuldigungen Dutzender Frauen wegen sexueller Übergriffe durch ihren Ehemann seien Lügen, Verleumdungen und Übertreibungen. Es könne sein, dass Jean-Claude Arnault „nicht immer ganz sittsam“, „ein wenig amoralisch“ gewesen sei, bagatellisiert sie: Aber seien das Henry Miller, Georges Bataille oder Pier Paolo Pasolini nicht auch gewesen?
Autorin Gabriella Håkansson
Von den Frauen, die Arnault sexueller Übergriffe beschuldigten, will sich die Autorin und Literaturkritikerin Elise Karlsson nicht äußern: „Katarina Frostenson hat mich noch nie interessiert.“ Die Schriftstellerin Gabriella Håkansson zeigt sich dagegen schockiert. Sie wirft Frostenson „maßlose Übertreibung“ vor, wenn sie sich selbst zur Märtyerin hochstilisiere und das halbe Jahr, das sie in Frankreich verbracht habe, mit dem Schicksal von Menschen auf eine Stufe stelle, die aufgrund von Krieg und politischer Verfolgung ins politische Exil gehen mussten. „Da wird mir übel.“
Falsch sei auch der Vorwurf, sie habe die Namen mehrerer LiteraturnobelpreisträgerInnen vorab an Medien preisgegeben, beteuert Frostenson. Und sie gibt einen Hinweis, wer das gewesen sein könnte. Lediglich einen der gegen sie erhobenen Vorwürfe akzeptiert sie: An einigen Entscheidungen über die Vergabe von Mitteln für kulturelle Projekte hätte sie sich aufgrund persönlicher Verwicklung nicht beteiligen dürfen.
Es habe unter MeToo tatsächlich Tendenzen zur Jagd auf Sündenböcke gegeben, meint Lisa Irenius, Kulturchefin von Svenska Dagbladet und fragt rhetorisch: „Muss jetzt die ganze Krise um die Schwedische Akademie neu aufgerollt werden?“ Ihre Antwort ist klar: Frostensons Buch bekräftige allenfalls, dass jemand mit so einem „konspiratorischem Weltbild“ in einer Institution, die angesehene Preise und Stipendien vergebe, „nichts mehr verloren“ habe.
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