No Future-Drogenpolitik: Kiffen statt Rente

Warum die Entsolidarisierung der Gesellschaft durch die Legalisierung von Cannabis weiter vorangetrieben wird.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach will kiffen legalisieren Foto: picture alliance/dpa

Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 01.11.2022 | „Sex and drugs and rock and roll / is all my brain and body need“ – mit seinem Welthit drückte Ian Dury 1977, am Anfang der Punkbewegung, das Selbstverständnis einer Teilgeneration aus. Daran musste ich denken, als das Bundeskabinett in der vergangenen Woche die Eckpunkte für eine Cannabis-Legalisierung in Deutschland beschloss. Schon in der Studentenbewegung, in den späten 1960er Jahren, war das illegale Kiffen die lustvolle Abgrenzung zur Welt der Normalos. Die Enge in den vorherbestimmten bürgerlichen Lebensentwürfen, in die jeder sich irgendwann hinein zu bequemen hatte, wurde mit dem Kiffen und später mit immer schwereren Drogen als befreiende Bewusstseinserweiterung transzendiert. Das Kiffen fand in diesen Jahren, medial skandalisiert, von kriminellen, mafiosen Drogenhändlern ökonomisiert, seinen Weg in die Jugendkulturen der nächsten Generationen. Kiffen und bald viel härtere Drogen gehören seit dieser Zeit neben dem althergebrachten Saufen von immer härterem Alkohol zu den Initiationsriten der 17- bis 25jährigen.

Staat und Gesellschaft haben auf diese jugendkulturellen Entwicklungen mit verschärften Betäubungsmittelgesetzen und dem Strafrecht, mit Tabuisierung und erhobenen Zeigefingern, mit Entzugsangeboten und viel Sozialarbeit reagiert. Der Erfolg dieser Strategie war mäßig. Stattdessen hat die Gesellschaft gelernt, mit den sich vor aller Augen selbst umbringenden Drogisten – achselzuckend – zu leben.

Die Eltern dieser Jugendlichen waren und sind mit den – bereits jetzt faktisch frei verfügbaren – Drogen mit der Bedrohung ihrer Erziehungsmühen konfrontiert. Sie werden weitgehend mit dem Schutz ihrer Heranwachsenden vor Drogen allein gelassen.

Schon in den 1980er Jahren sind auf der linken und der liberalen Seite der Politik Forderungen nach Legalisierung der Drogen erhoben worden. Wenn die einen saufen dürfen, dann sollen die anderen, bitteschön, kiffen dürfen – das war und ist in etwa bis heute die Argumentation. Die Legalisierung des Gebrauchs, des Vertriebes und der Herstellung der Drogen erlaube eine öffentliche Kontrolle des Drogengebrauchs; es trockne die mafiös organisierten Versorgungsstrukturen aus; es erhöhe die Chancen, einen zerstörerischen Gebrauch der Drogen einzugrenzen. So in etwa argumentiert nun auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

Allerdings widersprechen viele wissenschaftlichen Studien und Hinweise der medizinischen, sozialpädagogischen und ordnungsrechtlich Verantwortlichen diesen Erwartungen. So hat die Gesundheitsforschung nachgewiesen, dass Heranwachsende im Alter von 18 bis 25 bei exzessivem Gebrauch von Cannabis und anderen Drogen irreparable Schäden an ihren Hirnen erleiden. Belegt ist auch, dass die wegen der Folgen von Drogenmissbrauch, Rauchen und Saufen heute schon hohen Kosten im Gesundheits- und im Sozialsystem bei einer Legalisierung nochmal massiv steigen werden.

Das Elend so vieler Verlorener, ihr in aller Öffentlichkeit inszeniertes Sterben auf Raten wird mit der Legalisierung des Cannabisgebrauchs ins Sozialsystem eingepreist und wider besseres Wissen ins gesellschaftliche Leben eingefügt.

Die Legalisierung von Cannabis ist ein falsches drogenpolitisches Signal

Alle Verantwortlichen wissen, dass es risikoarmes Saufen genauso wenig gibt wie risikoarmes Kiffen und anderen Drogengebrauch. Sie wissen, dass es einen eigenverantwortlich gesteuerten Konsum von Alkohol und Drogen in der Republik bei vielen Jungen nicht gibt.

Derzeit gibt es mindestens 1,4 Millionen Alkoholabhängige in der Republik, offiziell gezählte 200.000 Drogenabhängige, jährlich sterben 70.000 durch übermäßigen Suff und 2021 gab es 1.821 Drogentoten, die höchste Todesrate seit zehn Jahren. Diese Zahlen werden weiter zunehmen, weil Gesellschaft und Politik davon nicht behelligt werden wollen.

Die Legalisierung von Cannabis ist ein falsches drogenpolitisches Signal. Gebraucht wird ein rechtsfestes und hart durchsetzbares Verbot des privaten Gebrauchs von Cannabis als ein breit getragenes, gesellschaftlich befestigtes Tabu bis zum Alter von 25 Jahren. In demokratischen Gesellschaften finden sich dann trotzdem immer noch Freiheitsräume, in denen mit gutem oder schlechtem Gewissen lustvoll gekifft werden wird. Wesentlich aber ist es, dass die Heranwachsenden in ihrer Mehrzahl davon abgehalten werden, ihre altersbedingten egomanischen Freiheitsfantasien zu ihrem eigenen Schaden auszuleben.

Die Legalisierung des Cannabisgebrauchs folgt dem Muster unverantwortlicher Sozial-, Gesundheits- und Jugendpolitik in der Bundesrepublik, in der nur die Alten zählen. Die Jungen und ihre Zukunft spielen nur in Sonntagsreden eine Rolle. Für die Kinder fehlen Kindergärten und Erzieher, für die Schüler fehlen Lehrer, viel zu wenige Junge müssen in den nächsten Jahrzehnten die Renten und das Ableben der Alten finanzieren, ohne sichere Aussichten auf eigene auskömmliche Renten. Das ineffektive und noch dazu durch sinnlose Privatisierungen geschwächte Gesundheitssystem muss aus Steuermitteln quersubventioniert oder mit der Rationierung von Gesundheitsdienstleistungen in Funktion gehalten werden. Die Lasten sind riesig, die auf die Jungen wegen dieser Defizite in ihrem Erwachsenenleben zukommen.

Wird diese soziale Wirklichkeit im Zusammenhang mit der aufwendig betriebenen Legalisierung von Cannabis betrachtet, dann liegt der Gedanke nahe, dass im legalisierten Rausch der Kiffer auch die zunehmende Dysfunktion der sozialen Systeme erträglicher gemacht werden wird. „Legal Kiffen statt sicherer Renten“, so könnte diese Politik beschrieben werden. Die Entsolidarisierung der Gesellschaft wird durch die Legalisierung des Drogengebrauchs weiter vorangetrieben.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.

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