Nikolaus ist ein Türke

■ Als Weihnachten noch am Nikolaustag gefeiert wurde / Was den Kindern heute alles entgeht / Eine kleine Serie über unser Weihnachtsbrauchtum, Teil 1

Heute ist Nikolaus-Tag. Wer weiß schon, was ihm da entgeht? Der Tag hat gegenüber dem Weihnachtsfest unbestreitbar die älteren Rechte. Denn der „Weihnachtsmann“ ist nur ein um drei Wochen verdrängter Nikolaus: Die Reformatoren hatten etwas dagegen, den „Heiligen“ zum großen Beglücker der Kinder zu machen. Protestantische Aversion gegen den Heiligenkult hat da zugeschlagen, jahrhundertelange Polemik gegen „heidnische und papistische Torheiten“. Dabei sind die viel schöner und haben sich viel tiefer ins Empfinden des Christenvolkes eingegraben als all das, was sich theologisch rechtfertigen läßt.

Lange bevor das Weihnachtsfest ein Termin im Kirchenkalender war, wurde der heilige Nikolaus gefeiert: Seit dem 13. Jahrhundert war es der Tag der Geschenke für die Kinder. Zwar war damals schon der Geburtstermin Christi vom 20. Mai auf den Sonnenkult-Gedenktag, den 25. Dezember, verlegt, aber ein Gaudi war diese Feier nicht und das Wort Weihnachten noch nicht erfunden. Das Gedenken war ein eher besinnliches, religiöses. Religionsgemeinschaften wie die Mormonen, die Christi Geburt im April so zurückhaltend gedenken wie die frühmittelalterliche Kirche, werden von den christlichen Kirchen heute „Sekten“ genannt.

Das volkstümliche Fest, das vielfältige Bräuche in sich aufsaugen und mit verarbeiten konnte, war ungemein stärker. Über den historischen Bischof aus Myra an der türkischen Riviera aus dem 4. Jahrhundert und den 200 Jahre jüngeren „Nikolaos“ weiß man so wenig, daß die beiden zu einer Figur verschmelzen konnten. Immer vielfältiger wurden im Verlaufe der Zeit die Legenden, die um die zweieinigen Nikoläuse herum entstanden. Sie begründeten viel von der heutigen Weihnachtstradition für den 6. Dezember.

Die Legenden haben eines gemeinsam: Immer steht „Nikolaus“ auf der Seite der Armen und Entrechteten. Er rettete drei unschuldig verurteilte Offiziere, er rettete die Bewohner Myras vor dem Hungertod, er ist der Beschützer der Seefahrer, er schenkte drei mittellosen Mädchen, die vom Vater zur Prostitution bestimmt waren, die Aussteuer.

Aus Frankreich breitete sich der Nikolaustag als Schülerfest aus. Ein ursprünglich vom 28. Dezember, dem „Narren- und Eselsfest“, bekannter Brauch wurde am 6. Dezember aufgenommen: die Wahl des „Kinderbischofs“. Die Klosterschüler wählten ihn, dekorierten ihn als Bischof – und dann konnte, bestimmten Karnevals-Riten gleich, der Schüler-Bischof loslegen: Er gab seinen Mitschülern gute Zeugnisse, er beschenkte sie. Die wirklichen Autoritäten hatten sich dem karnevalistischen Spiel zu beugen, zum allgemeinen Gaudi der Untergebenen. Aufsässig zogen die Kinder durch die Stadt und kosteten ihre vermeindliche Macht aus. Die ausgelassenen Feiern wurden der kirchlichen Autorität immer wieder zum Problem. Immer wieder hat die Kirche deshalb Anstrengungen unternommen, das „Nikolaus-Laufen“ zu unterbinden. So wurde 1407 in Braunschweig die Wahl des Kinderbischofs verboten, das Konzil von Basel untersagte den Mißbrauch von Stab und Kleidung der Bischöfe zum „Gaukelspiel“ am Nikolaustag. Selbstverständlich hatten auch die Reformatoren etwas gegen diese Nikolaus-Traditionen, die aus theologischer Sicht nicht zu rechtfertigen waren.

So einfach waren populäre Bräuche nicht zu unterdrücken; erst sehr spät setzte sich „Weihnachten“ als Geschenkfest gegen den Nikolaus-Termin durch – nicht ohne die Kopie des „Weihnachtsmannes“. Noch im 18. Jahrhundert konnte der Bremer Stadtkämmerer Bußgelder fürs Nikolausspiel am „Clas-Abend“ als Einnahmen verbuchen. K.W.