Nigerias Armee eröffnet Offensive: Rebellenbekämpfung per Totalangriff
Wenn die nigerianische Armee Rebellen bekämpft, geht es immer zu Lasten der Bevölkerung. Die Regierung spielt die Zahlen der Toten herunter und setzt die Militäraktionen fort.
Die Mangrovenwälder im Nigerdelta sind unübersichtlich. Kaum jemand scheint sich im Dickicht des nigerianischen Ölgebiets richtig auszukennen. Dazu gehört offensichtlich auch die Joint Task Force (JTF) des nigerianischen Militärs, die vergangene Woche rund um das Dorf Ayakoromor im Bundesstaat Delta zum Großangriff blies. Gesucht hat sie den berüchtigten Rebellenführer John Togo, der in der Nähe des Dorfs eins seiner Basiscamps haben soll.
Gefunden haben sie Togo dort nicht. Stattdessen wurden bei dem Angriff am 1. Dezember rund 150 Dorfbewohner umgebracht. Das zumindest schätzen Menschenrechtsaktivisten. Es wurden Hütten abgebrannt und Einwohner vertrieben. Nach Informationen des Roten Kreuzes gab es Schwierigkeiten, die Menschen anschließend mit Wasser, Lebensmitteln und Decken zu versorgen.
Timothy Antigha, Pressesprecher der JTF, kann angesichts der Zahl 150 nur mit dem Kopf schütteln. "Reine Propaganda und völlig aus der Luft gegriffen" schimpft er. Seiner Meinung nach seien höchstens neun Menschen Opfer des Militäreinsatzes geworden.
Doch seit Tagen geht es längst nicht mehr nur um Zahlen. Vielmehr ist eine Diskussion darüber entbrannt, wie überhaupt bei Militäreinsätzen mit der Zivilbevölkerung im Nigerdelta umgegangen wird. Denn die Militäraktionen verlaufen häufig alles andere als friedlich. "Es reicht doch nicht, die Zivilisten zu warnen, damit sie ihre Häuser verlassen können", schimpft etwa Ledum Mitee. Er ist Vorsitzender der nichtstaatlichen Bewegung für die Rechte der Ogoni, einer kleinen ethnischen Gruppe im Nigerdelta. Für ihn ist klar, dass der Schutz vor Rebellen nicht höher als das Leben der Einwohner vor Ort bewertet werden darf.
Ohnehin gelten die Einwohner im Nigerdelta als extrem marginalisiert. Zwar leben sie in Westafrikas Ölregion schlechthin, doch von dem durch das schwarze Gold geschaffenen Wohlstand kommt so gut wie nichts bei ihnen an. Kein Wunder auch, dass die Lebenserwartung bei gerade mal 41 Jahren liegt.
Das Nigerdelta hat sich nun auch Präsident Goodluck Jonathan auf die Fahne geschrieben, der als erster Staatschef Nigerias selbst aus der Ölregion stammt. Er forderte die JTF öffentlich auf, die Sicherheit von Zivilisten bei künftigen Einsätzen zu gewährleisten. Trotzdem will die JTF an den Einsätzen festhalten, erklärt Timothy Antigha. "Sie sind notwendig." Togo sei schließlich als Anführer der Niger Delta Liberation Force (NDLF) gefürchtet und gehöre zu einem der meistgesuchten Menschen im Delta. "Er ist für die Entführungen von Shell- und Chevron-Mitarbeitern stark verantwortlich. Deshalb müssen wir uns einfach wehren." Am 17. November hatten NDLF-Kämpfer bei einem Überraschungsangriff auf das Militär neun Soldaten der JTF getötet und mehrere Militärschnellboote zerstört.
Und im April 2011 wird in Nigeria gewählt. "Es ist doch nicht auszudenken, was passiert, wenn wir Togo bis April nicht fassen", sagt der Militärsprecher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!