Niels Annen ohne Uni-Abschluss: Ein Leben ohne Latinum
Pleiten, Pech und Pannen: Politiker Niels Annen hat sein Studium abgebrochen und schämt sich - aber warum?
Für Bildung sind alle. Linke und Rechte, Schalke- und Dortmund-Fans. Am dollsten für Bildung sind natürlich Politiker. Denn wer für Bildung ist, zeigt, dass er Gutes tun will. Das ist die Theorie - die Praxis kennt jeder Schüler. Bildung ist schön, macht aber viel Arbeit. Und wer faul ist oder sich doof anstellt, fällt durch, vergeigt die Matheklausur, schmeißt das Abi oder versemmelt das Studium.
Der junge SPD-Politiker Nils Annen ist auch sehr für Bildung. Bildung, schrieb er kürzlich, "ist die beste Voraussetzung für die Integration eines jeden in unsere Gesellschaft." So ist es. Um die Integration von Nils Annen in die Gesellschaft aber müssen wir uns Sorgen machen. Denn der Student Annen hat sein Studium der Geschichte und Geografie nach 28 Semestern abgebrochen. "Trotz intensiver Vorbereitung habe ich im Herbst 2007 das für das Geschichtsstudium obligatorische Latinum leider nicht bestanden", schreibt der 35-jährige zerknirscht an seinen SPD-Kreisverband Hamburg-Eimsbüttel. Es bestehe die ernste Gefahr, dass sein Studienabbruch "Bürgerinnen und Bürger irritiert".
Annen hatte vor der Wahl 2005 seinen Wählern versprochen, sein Studium zielstrebigst zu einem guten Ende zu bringen. Jetzt ist er trotz Nachhilfeunterricht durch das Latinum gefallen. Ausgerechnet durch das Latinum, jene verblichene Eintrittskarte in die Welt des deutschen Bildungsbürgertums.
Nun ist der Schaden da, der Spott groß, die Bild-Zeitung hämisch, der Bürger irritiert. Doch wo die Blamage droht, wächst das Rettende auch. Der Ratgeber "Studienabbruch - na und?" etwa empfiehlt, dass man mit diesem "Knick im Lebenslauf" offensiv umgehe solle und dann bei der Jobsuche noch Hoffnung besteht. Keine falsche Scham. Immerhin haben auch Anke Engelke, Otto Waalkes und Bill Gates ihr Studium vergeigt - nicht zu ihrem Schaden.
Nils Annen rechtfertigt sich damit, dass er einfach keine Zeit hatte, "in die Uni zu gehen". Er musste sich doch um seinen Wahlkreis kümmern, im SPD-Parteivorstand einstimmige Beschlüsse fassen, im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages einen kundigen Eindruck hinterlassen und als Vizechef der Parlamentarischen Linken Kurt Beck gegen Heckenschützen verteidigen. Es leuchtet ein, dass Lateinkenntnisse bei diesem beschwerlichen Tun nicht unbedingt erforderlich sind. "Ceterum censeo, ut Beck permanet caput partis" - hätte es etwas genutzt, wenn Annen dies Seeheimern, Netzwerkern, oder wer sonst gerade an Becks Stuhl sägt, entgegengerufen hätte? Kaum. Schon weil wir ernsthaft die Möglichkeit in Betracht ziehen müssen, dass es auch im SPD-Parteivorstand mit den Lateinkenntnissen nicht zum Besten steht.
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