Niedersachsen plant Subventionen: Schweinemäster sollen bleiben
Immer mehr Schweinemäster hören auf. Niedersachsens Agrarministerin will sie mit einer „Zukunftsprämie“ zum Weitermachen bewegen.
„Es brennt lichterloh in der Schweinehaltung“, sagt ISN-Vorsitzender Heinrich Dierkes. „Dass so viele von uns aufhören, ist besonders auch eine Folge der fehlenden Perspektive und des fehlenden Rückhalts von Seiten der Politik.“ In der vergangenen Legislaturperiode sei viel darüber diskutiert worden, wie die Schweinehaltung umgestaltet werden solle: „Doch die verschiedenen Parteien und Ministerien haben sich, wo es nur ging, gegenseitig Sand ins Getriebe gestreut. Geblieben sind viele Baustellen.“
In Niedersachsen ist im Vergleich zu allen anderen Bundesländern der Schweinebestand am höchsten. Hier tritt dieser Umbruch besonders deutlich zutage. Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) gibt deshalb eine Durchhalteparole aus. Forderungen nach einer Ausstiegsprämie für Schweinehalter, erhoben nicht zuletzt vom Landvolk Niedersachsen, dem Landesbauernverband mit Sitz in Hannover, lehnt sie ab. Sie „dürfte finanziell nicht abzubilden sein“, teilt ihr Ministerium auf taz-Anfrage mit, und beinhalte „vermutlich viele Mitnahmeeffekte“. Eine regionale Ausstiegsprämie erziele zudem „keine nachhaltigen Effekte auf europäische bzw. internationale Märkte, wie wir sie beim Fleisch vorfinden“.
Otte-Kinast propagiert stattdessen eine „Zukunftsprämie“. Es solle kein Geld für Betriebe geben, die mit der Tierhaltung aufhören wollen. Sondern für Betriebe, die weitermachen.
Heinrich Dierkes, Vorsitzender der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands
Zukunftsträchtig klingt das nicht. Der „Bericht zur Markt- und Versorgungslage Fleisch 2020“ der Bonner Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung rechnet vor: Die Menge des produzierten Schweinefleischs geht zurück, auch die des verzehrten. Generell lag der Pro-Kopf-Verzehr von Fleisch 2020 „so niedrig wie noch nie“. Die Zahl an viehhaltenden Betrieben sinkt, der Gesamtbestand an Tieren auch.
Otte-Kinast aber setzt aufs Weitermachen. „Tierhaltung ist notwendig, solange die Menschen den Wunsch haben, tierische Erzeugnisse zu verzehren“, sagt ihr Ministerium der taz. Dieser Wunsch sei auch in Deutschland „sehr ausgeprägt“. Tierhaltung habe hier „nach wie vor eine Zukunft“.
Wer wie viel „Zukunftsprämie“ bekomme, nach welchen Kriterien? Dazu bleibt die Sprecherin des Ministeriums vage: Die „Unterstützung“ der Schweine haltenden Betriebe „kann und muss von vielen Seiten kommen“, sagt sie. Das zielt vor allem auf Berlin, unter Verweis auf das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, die sogenannte Borchert-Kommission. Niedersachsen habe „sich bereits mehrfach gegenüber dem Bund für eine zügige Umsetzung dieser Empfehlungen ausgesprochen“.
Jan Peifer, erster Vorsitzender des Deutschen Tierschutzbüros in Berlin, kritisiert Otte-Kinasts Unterstützungsmodell massiv. „Das hat mit Zukunft nichts zu tun“ sagt er. „Das ist ein verzweifelter Versuch, ein altes System am Leben zu erhalten, eine alte Struktur.“ Peifer versteht nicht, warum Otte-Kinast, für ihn sonst eine „Ministerin der Landwirte“, an etwas festhält, an dem selbst viele Landwirte nicht mehr festhalten wollen. „Zukunft für die Landwirtschaft! Klingt natürlich super. Aber da werden wieder mal nur schön klingende Formulierungen produziert.“ Ernsthafte Maßnahmen seien nicht zu erwarten. „Und wenn Otte-Kinast dann irgendwann sieht, dass es nicht funktioniert, wie schon so oft, wird eben wieder was Neues gefunden, das gut als Schlagzeile taugt.“
Wahre Zukunft sieht für Peifer anders aus: „Wir müssen unsere Tierbestände drastisch reduzieren. Ideal wäre ohnehin eine rein pflanzliche Ernährung.“ Das wäre gut für die Klimabilanz. Das wäre gut für den Tierschutz. „Aber das Tierwohl steht bei Otte-Kinast ja nicht besonders weit oben auf der Agenda.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus