piwik no script img

Niederlandes Hausbesetzungsverbot"Kraken wird weitergehen"

Ab Jahresbeginn sollen Hausbesetzungen strafrechtlich belangt werden. Doch die Aktivisten geben nicht auf und kriegen Unterstützung aus der weltbekannten Designerszene des Landes.

Hausbesetzer campierten im Oktober vor dem niederländischen Parlament, um gegen das drohende Kraakverbot zu protestieren.

NIJMEGEN taz | Der Kommentar zum Kraakverbot klebt an einer Tür in der niederländischen Stadt Nijmegen und wirft einen etwas ungewöhnlichen Blick in die Zukunft: "Dann erhielt jedes Gefängnis einen Umsonstladen und eine Volksküche." Nach einem neuen Gesetz sind Hausbesetzungen künftig eine Straftat. Darauf steht ein Jahr Gefängnis. Wendet der Kraker Gewalt an, drohen zwei Jahre Haft. Übt eine Gruppe Gewalt aus, riskieren sie zwei Jahre und 8 Monate hinter Schloss und Riegel. Das Gesetz hat das Abgeordnetenhaus passiert und soll zum 1. 1. 2010 in Kraft treten. Der Senat muss noch zustimmen.

Protestaktionen ließen nicht auf sich warten: "Kraken geht weiter", sagt der 18-jährige Peter. Er will seinen wirklichen Namen nicht nennen. Er hat zusammen mit Thomas, 24, Schicht im Umsonstladen in der Bloemerstraat. Das geräumige Geschäft in der Innenstadt ist frisch besetzt. "Wir wollen mit dieser Aktion ein Signal setzen", erzählt Peter. "Kraken ist notwendig. Viele Gebäude stehen leer. Darin passiert überhaupt nichts. Und um eine Wohnung zu finden, stehen Menschen oft jahrelang auf einer Warteliste." Mit ihrem Widerstand sind diese Kraker nicht allein: während der landesweiten Aktionstage Anfang November wurden 21 Gebäude in 13 Städten besetzt. Rund 1.000 Menschen demonstrierten in Utrecht.

"Diese Räume standen über ein Jahr leer", berichtet Peter. Nach der jetzigen Regelung würde die Besetzung geduldet, bis der Eigentümer einem Richter gegenüber eine weitere Nutzung nachweist. Thomas hofft, dass Richter künftig nicht so hohe Strafen austeilen werden und "wir nicht alle im Knast landen. Vielleicht setzen sie die Strafen ja auch zur Bewährung aus, als eine Art Verwarnung."

Die Stadt mit den gut 160.000 Einwohner war eine Hochburg der Hausbesetzerszene. Wie viele Kraker in den Niederlanden heute aktiv sind, weiß niemand genau. Ziffern von 1.000 bis 2.000 kursieren. Gut 30.000 Menschen wohnen Anti-Kraak. Sie leben temporär in leerstehenden Gebäuden und fungieren als Anti-Kraak-Wachen. Sie verpflichten sich beim Einzug, innerhalb von 14 Tagen auszuziehen.

Ein paar Straßen weiter ist Frans Eppink, Chemiker, 50plus, bei der freiwilligen Arbeit in dem ehemals besetzten Gebäude "De Grote Broek". In dem legalisierten Komplex finden viele politische und kulturelle Aktivitäten statt. Und es wird gekocht, Bio-3-Gang-Menüs für Besucher, Anmeldung erforderlich. Die Obergeschosse sind bewohnt, im Untergeschoss ist ein Konzertsaal. "De Grote Broek" ist eine Institution in Nijmegen. Wie "De Melkweg", "Paradiso", Packhaus "De Zwijger" in Amsterdam, "Tivoli" in Utrecht - alle ehemals besetzt und Highlights in den Städten.

Frans Eppink glaubt, dass man Menschen die "Ideale nicht so einfach abnehmen kann. Kraken wird weitergehen. Es prangert an, dass Gebäude nicht in der ausgewiesenen Weise genutzt werden. Wir haben uns für das kapitalistische System entschieden, wenden es aber nicht an. Wenn Räume nicht zu einem bestimmten Preis zu vermieten sind, muss der Preis fallen. Stattdessen wird er künstlich hochgehalten durch Leerstand."

Auf die Bedeutung von Hausbesetzungen und Anti-Kraak für den kreativen Output der Niederlande haben jetzt Designer, Künstler und Institutionen hingewiesen. Martin Born, Designer aus Eindhoven, ist Mitunterzeichner eines Briefes an den Senat: "Das Kraakverbot ist nicht im Interesse des Landes", sagt er. "Die Arbeits- und Experimentiermöglichkeiten, die man hier durch Kraken und Anti-Kraak hat, haben einen beträchtlichen Einfluss auf die kreative Position der Niederlande. Dutch-Design ist international anerkannt, weil es innovativ und experimentierfreudig ist. Dafür braucht man Räume. Dieser Gedanke hat bei der Auseinandersetzung um das Kraakverbot gefehlt."

Das sogenannte Dutch-Design ist weltberühmt. 53 Designer und Institutionen haben den Brief unterzeichnet. Darunter sind so bekannte Personen wie Piet Hein Eek, Maarten Baas, Richard Hutten, Droog Design, Museum Boijmans van Beuningen. Martin Born: "Viele bekannte Designer, die das Label ,Dutch-Design' geprägt haben, sind Kraker gewesen oder waren Anti-Kraak. Sie sind magnetisch für dieses Land. Designer brauchen Platz und sie haben oft nicht viel Geld, wenn sie beginnen."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • P
    Philipp

    @Stephan

     

    genau! Wir brauchen n neuen Krieg, damit endlich mehr Menschen Gratis-Werkstätten bekommen :)

  • S
    Stephan

    Der niederländischen Gesellschaft ist zu wünschen, dass das Besetzen ungenutzter Flächen weitergehen kann. Viele etablierte Künstler und Kreative haben davon profitiert, Raum für ihre Ideen und ihre Entwicklung zu haben. Später wurden von Ihnen die besetzten Immobilien oft selbst gekauft.

     

    Auch hierzulande müssen ungenutzte Räume denen zugänglich gemacht werden die sie benötigen. Der Schutz des Eigentums zu Spekulationszwecken oder aus Rücksicht auf Besitzer, denen eine Vermietung zu unbequem ist, widerspricht dem Grundgesetz.

     

    Ich erinnere mich an einen Vortrag des Dübel-Erfinders Fischer, in dem er von den Anfängen seines Imperiums berichtete. Eine voll ausgestattete Werkstatt stand ihm kostenlos zur Verfügung, da sein Besitzer nicht aus dem Krieg zurückgekehrt war. Startup-Bedingungen, von denen viele nur träumen können!