Niederlande vor dem WM-Auftakt: Orange Revanchegelüste
In der Gruppe B kommt es zur Neuauflage des WM-Finales von 2010. Arjen Robben und Louis van Gaal gehen mit besonderer Motivation in die Partie.
LONDON taz | Wembley-Stadion, 25. Mai 2013. Champions-League-Finale, Bayern gegen Dortmund. Noch zwei Minuten. Robben rauscht in den Strafraum. Der Niederländer prescht durch die Lücke. Mats Hummels grätscht ins Leere, Neven Subotic liegt darnieder. Und Robben? Schiebt das Leder einfach ins Netz. Wie in Zeitlupe rollt der Ball an Roman Weidenfeller vorbei in die Maschen. „Payback“, schreit der englische Reporter. Rache.
Fußball, das heißt oft auch Rechnungen begleichen. Und so wie Arjen Robben vor gut einem Jahr seine noch offenen Rechnungen mit den Dortmundern (verschossener Elfer im Meisterschaftsrennen 2012) beglich, wie seine offenen Wunden aus dem Vorjahresfinale der Champions League gegen Chelsea (dito) mit diesem einen Treffer verheilten, so geht es auch nun wieder um offene Rechnungen.
Denn für Robben gibt es ein weiteres Trauma. Hätte er im WM-Finale 2010 gegen Spanien (0:1 n. V.) freistehend vor Iker Casillas für die Führung gesorgt, Holland wäre wohl erstmals Weltmeister geworden. Und Robben unsterblich. Genauso wie er sich für die Roten in München unsterblich gemacht hat, könnte er längst ein Jahrhundertidol in Oranje sein. Hätte. Könnte. Im Fußball helfen keine Konjunktive, im Fußball helfen vielleicht Neuauflagen (Spanien-Niederlande, Freitag, 21 Uhr im ZDF).
Arjen Robben sprach im Vorfeld über Revanche. „Die ist erst möglich, wenn wir beide weiterkommen und uns am Ende im Finale wieder gegenüberstehen. Nur dann können wir uns revanchieren, sonst nicht.“ Für Robben ist jenes Finale mitnichten abgehakt: „Wenn du so nah dran am WM-Titel bist … Der Schmerz wird immer bleiben.“
Erfolgreicher Vereinstrainer = erfolgreicher Nationaltrainer?
Er ist nicht der einzige Erfolgsbesessene aus der Elftal, wie man das Oranje-Team in den Niederlanden auch nennt. Der andere heißt Louis van Gaal und trainiert die Niederländer. Der 62-Jährige hat als Vereinstrainer – wie Robben als Vereinsspieler – so gut wie alles gewonnen. Champions League und Weltpokal mit Ajax Amsterdam (1995), Meister in Deutschland und Spanien (FC Barcelona). Bayern- und DFB-Kapitän Philipp Lahm findet nicht als Einziger, dass er, van Gaal, die jüngste Erfolgsära der Münchener vorbereitet hat.
Eigentlich wäre van Gaal als Coach also vollkommen. Wäre, ja wäre da nicht das Nationalteam. Van Gaal trainierte die Oranje-Mannschaft bereits zwischen 2000 und 2002. Die Holländer verpassten mit ihm die WM-Qualifikation – die größte Schmach, die man sich denken kann. Ein ganzes Land schlug auf ihn ein. Nach dieser WM geht er zu Manchester United. Brasilien ist seine letzte Chance zum Payback.
Rächen sich Robben und van Gaal also ausgerechnet in Brasilien an der Fußballgeschichte? Sicher ist: Als (Mit-)Favorit gelten die Niederländer nicht. Das liegt vor allem an der international unerfahrenen Verteidigung. Die Defensivkräfte Daryl Janmaat (24), Ron Vlaar (29), Stefan de Vrij (22), Bruno Martins Indi (22) und Daley Blind (24) kommen zusammen gerade mal auf 78 Länderspiele – Robben kommt fast allein auf so viele Einsätze.
Viel wird davon abhängen, ob die Nachwuchsspieler dem Weltniveau gewachsen sind.
In jedem Fall hat Oranje eines der heterogensten Teams der WM – alt und jung, Weltstars und No-Names, Multikulti. Kann dieses Ensemble sein Potenzial abrufen, werden sie sich in ihrer schweren Gruppe durchsetzen. Da kann Gruppengegner Chile noch so geheimfavoritig daherkommen. Können die jungen Spieler hingegen dem Druck nicht standhalten, droht in ihrer Gruppe (in der zudem noch Australien spielt) das Aus.
Van Gaal hat gezeigt, was er mit jungen Teams erreichen kann und dass er nicht nur der autokratische Herrscher ist, als den ihn die Öffentlichkeit gern sieht. „Wir kommen nach Brasilien, um zu gewinnen“, sagt er – was denn sonst?
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