Niederlage vorm DFB-Bundesgericht: Hertha jetzt noch abgestiegener
Im Streit um die Wertung der Bundesliga-Relegation unterliegt Hertha BSC auch vorm DFB-Bundesgericht. Die Berliner entscheiden erst nach Pfingsten über einen erneuten Einspruch.
FRANKFURT/MAIN dpa | Nach der erneuten juristischen Niederlage von Hertha BSC ist auch an Pfingsten keine endgültige Entscheidung über den Aufstieg in die Fußball-Bundesliga in Sicht. Die Berliner wollen erst ihre Mitgliederversammlung am Dienstag abwarten, um danach über einen möglichen Einspruch gegen das Urteil des DFB-Bundesgerichts zum Relegationsspiel bei Fortuna Düsseldorf zu entscheiden. „Über Pfingsten wird in der Richtung nichts passieren“, sagte Clubsprecher Peter Bohmbach am Samstag auf dpa-Anfrage.
Zunächst müsse „in Ruhe“ die schriftliche Urteilsbegründung abgewartet und darüber beraten werden. Der mögliche Einspruch werde ein Thema bei der Versammlung sein, es gehe darum, ein „Stimmungsbild“ der Mitglieder zu gewinnen. Der Club habe unterdessen die Spieler informiert, dass sie zunächst in Urlaub gehen könnten. „Das ist aber kein Hinweis in die eine oder andere Richtung“, betonte Bohmbach. Die Profis sollten „zur Ruhe kommen“.
Für die Düsseldorfer Fußball-Profis besteht hingegen weiter eine interne Urlaubssperre. „Es gibt vorerst keinen Urlaub, das wurde der Mannschaft am Samstagmorgen bei einem Treffen mitgeteilt“, sagte Club-Sprecher Tom Koster. Erst wollen die Düsseldorfer die Mitgliederversammlung der Berliner abwarten. „Bis Mittwoch sind unsere Spieler aber vom Training befreit, dann werden wir neu entscheiden, wie es weitergeht“, sagte Koster.
Nach dem Urteil des Bundesgerichts herrschte zunächst aber Erleichterung bei den Rheinländern. „Ich bin froh und glücklich über diese Entscheidung“, sagte Finanzvorstand Paul Jäger nach der quälend langen, mehr als zehnstündigen Verhandlung in der Frankfurter Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes. „Von heute an fühle ich mich wie ein Bundesligist. Jetzt feiere ich im Bistro.“
Hertha-Präsident Gegenbauer kündigt Beratungen an
Wie lange die Glücksgefühle anhalten, ist allerdings ungewiss. Berlins Präsident Werner Gegenbauer kündigte Beratungen an, ob das Ständige Schiedsgericht als nächsthöhere Rechtsinstanz angerufen wird. Dafür hat Hertha laut Lizenzierungsordnung des Ligaverbands mindestens eine Woche Zeit. Damit könnte der Hauptstadtclub den Sturz in die Zweitklassigkeit vielleicht noch abwenden.
Das DFB-Bundesgericht hatte am späten Freitagabend in Frankfurt am Main nach einer mehr als zehnstündigen Sitzung die Berufung der Berliner gegen ein Urteil des DFB-Sportgerichts vom vergangenen Montag zurückgewiesen. „Die Tatsachenentscheidung des Schiedsrichters stand nicht in Zweifel. Eine Schwächung der Mannschaft ist nicht erwiesen“, begründete der Vorsitzende Richter Goetz Eilers die Entscheidung.
Das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes hatte zuvor in erster Instanz den Einspruch von Hertha gegen die Wertung der Partie abgewiesen. Sollte der Urteilsspruch des Bundesgerichts bestehen, kehrt die Fortuna nach 15 Jahren in die Bundesliga zurück. Die Berliner würde nach nur einer Saison wieder in die Zweitklassigkeit abstürzen.
Hertha-Anwalt Christoph Schickhardt zeigte sich nach dem Urteil „enttäuscht“, auf der Gegenseite herrschte dagegen Zufriedenheit. „Wir sind erleichtert. Das Bundesgericht hat richtig entschieden. Das ist eine sehr gute Sache für den Sport, weil der Fall ausführlich behandelt worden ist“, sagte Fortunas Rechtsbeistand Horst Kletke. Nach zwei Instanzen sei der Fall „ordentlich und gründlich entschieden worden“, sagte der Jurist. Kletke hofft nun auf Einsicht auf Berliner Seite und den Verzicht auf einen Gang vor das Ständige Schiedsgericht des DFB: „Jetzt ist es an der Zeit, sich der Entscheidung zu stellen“, empfahl Kletke.
Schickhardt sprach in seinem Plädoyer von einem entstandenen „Totalschaden für den deutschen Fußball“ und forderte „eine Umdrehung des Spielergebnisses zu unseren Gunsten“ oder eine Neuansetzung. Der DFB-Kontrollausschuss empfahl dem Gericht, die Berufung zurückzuweisen.
Rehhagel erzählt vom Krieg
Das DFB-Bundesgericht befasste sich mit der Berufung des Berliner Clubs gegen das Urteil des Sportgerichts. Insgesamt wurden elf Zeugen gehört. Mit drastischen Worten hatte Hertha-Trainer Otto Rehhagel als Zeuge vor dem Bundesgericht für eine Wiederholung des Relegationsspiels plädiert. „Für mich war das alles irregulär“, meinte der 73-Jährige zum Fan-Auflauf in der Schlussphase des Spiels, „das war ein Ausnahmezustand, wie ich ihn in 40 Jahren als Bundesligatrainer nicht erlebt habe.“
„Wenn die Meute losrennt, gibt es kein Halten mehr“, berichtete Rehhagel. Er habe jedoch schon schlimmere Momente erlebt. Auf die Frage, ob er in der hitzigen Schlussphase Furcht gehabt habe, meinte Rehhagel: „Halb Angst … Ich habe 1943 in einem Keller im Ruhrgebiet gesessen, als uns die Amerikaner bombardiert haben.“ Nach 44 Minuten verließ der zu Anekdoten aufgelegte Trainer um 16.18 Uhr wieder den Sitzungssaal. Düsseldorfs Anwalt Horst Kletke entgegnete Rehhagel, es gebe „keinen Anlass, das Spiel mit Bombenwürfen aus dem Zweiten Weltkrieg zu vergleichen. Hier wurde niemand verletzt.“
Der Hauptstadtclub hatte nach dem 2:2 am 15. Mai in Düsseldorf Protest gegen die Spielwertung eingelegt. Weil Fortuna-Anhänger schon vor dem Abpfiff den Rasen stürmten, hatte Schiedsrichter Wolfgang Stark das Spiel für 21 Minuten unterbrochen. Als die Fans den Rasen wieder verlassen hatten, pfiff der Referee die Partie noch einmal für 93 Sekunden an.
Folgenloser Paragraf 17
Hertha berief sich nun auf Paragraf 17 der Rechts- und Verfahrensordnung des DFB. Demnach können Einsprüche gegen die Spielwertung unter anderem erhoben werden, wenn die eigene Mannschaft geschwächt wird „durch einen während des Spiels eingetretenen Umstand, der unabwendbar war und nicht mit dem Spiel und einer dabei erlittenen Verletzung im Zusammenhang steht“.
Aus diesem Grund führte Hertha-Anwalt Schickhardt dem Gericht eine 77-sekündige Fernseh-Aufzeichnung vor. „Die TV-Bilder sollen zeigen, dass der Platzsturm erfolgte, als das Spiel noch lief, also als der Ball noch im Spiel war“, erklärte der Jurist. Zudem präsentierte er neues Bild-Material: Insgesamt 16 Fotos sollten die bedrohliche Ausnahmesituation rund um das Spiel belegen. Düsseldorfs Anwalt Kletke hielt seinerseits Aufnahmen entgegen – diese sollten zeigen, das in der Schlussphase keine Gefahr für Leib und Leben bestand.
Um 12.52 Uhr hatte Eilers als ersten Zeugen von DFB-Seite Schiedsrichter Stark geladen. Der Richter wollte vor allem erfahren, wie gefährlich sich die Schlussphase der Chaospartie in Düsseldorf dargestellt hatte. „Ich hatte keine Angst, dass die Fans was von mir oder den Spielern wollten“, meinte Stark.
Weitere Ermittlungen stehen noch aus
Richter Eilers rekonstruierte anhand der Zeugenaussagen in ruhiger, aber bestimmter Weise die chaotischen Umstände in der Schlussphase der Begegnung. Bis zum Abend hörte Eilers unter anderen noch Hertha-Co-Trainer Ante Covic und Berliner Spieler, unter anderen Raffael. Er habe Angst „auch um meine Familie gehabt“, sagte der Brasilianer im Rückblick auf die Partie.
Gegen beide Vereine, die Berliner Profis Lewan Kobiaschwili, Christian Lell, Thomas Kraft und André Mijatovic sowie Fortunas Andreas Lambertz ermittelt unterdessen noch der DFB-Kontrollausschuss. Diese Fälle werden voraussichtlich zu einem späteren Zeitpunkt verhandelt.
Hertha muss mit einer Geldstrafe rechnen, weil Fans Bengalos gezündet und auch aufs Spielfeld geworfen hatten. Düsseldorf droht sogar ein Geisterspiel oder eine Platzsperre. Auch Fortuna-Kapitän Lambertz steht Ärger bevor, weil er im Innenraum des Stadions ein Bengalisches Feuer in der Hand hielt. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ermittelt indes gegen Zuschauer und Spieler beider Teams.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid