Niederlage für Schach-Genie: Bär am Brett, Bulle an der Börse
Nach sagenhaften 125 Partien ohne Niederlage verliert Schachweltmeister Magnus Carlsen gleich zwei Mal. An der Börse ist er erfolgreicher.
„Die zehn größten Vorzüge des Schachspiels“ hat das Gesundheitsportal healthline.com gerade aufgelistet und wirbt für den Denksport: Es bekämpfe Alzheimer, trage zur Persönlichkeitsentwicklung bei und stärke das Gedächtnis. Das war bei Magnus Carlsen vergangene Woche gefordert, um seine letzte Niederlage aus den Gehirnwindungen auszugraben. Seit 31. Juli 2018 blieb der Norweger ungeschlagen. in 125 aufeinanderfolgenden Partien hat er nicht verloren. Das hat es noch nie gegeben.
Ausgerechnet beim Heimturnier in Stavanger musste der Weltranglistenerste nach 44 Erfolgen und 81 Remis nun einem Kontrahenten zum Sieg gratulieren. Jan-Krzysztof Duda brachte ihn bei der Rückkehr vom Onlineschach ans reale Brett zu Fall. Der Pole war zunächst wenig zufrieden mit seiner Stellung, ehe der Weltranglisten-15. relaxt weiterspielte angesichts des beruhigenden Gedankens, dass eine Schlappe gegen den Dominator „nicht furchtbar“ sei.
Weniger entspannt sah der Weltmeister das Ende seiner Rekordserie. „Irgendwann musste es passieren. Trotzdem ist es sehr, sehr enttäuschend“, bekannte Carlsen gegenüber dem Schachportal Chess24. In der letzten Runde kam es noch schlimmer: Nach fast drei Jahren verlor der Superstar auch noch trotz des „Aufschlags“ mit den weißen Steinen eine Turnierpartie gegen den Armenier Lewon Aronjan. Der 29-Jährige tröstete sich „nach der verdienten Niederlage“ via Twitter damit, trotzdem Erster geworden zu sein.
Aronjan und der 17-jährige Alireza Firouzja kamen in den klassischen Partien wie der Sieger auf 6,5:3,5 Punkte. Weil es aber bei einem Remis zu einem Stichkampf mit kurzer Bedenkzeit kam, lag Carlsen dank seiner Blitzdenker-Künste doch mit 19,5 Punkten knapp vor seinem seit 2019 nicht mehr unter iranischer Flagge spielenden Kronprinzen Firouzja (18,5) und Aronjan (17,5). Der Weltranglistenzweite Fabiano Caruana (USA/15,5) folgte vor dem abgeschlagenen Duda (9,5) und dem überforderten zweiten Norweger Aryan Tari (3,5).
Titelverteidigung erst in einem Jahr
„Ich hatte zwar auch ein paar positive Momente – aber meistens fühlte ich mich ziemlich ahnungslos“, gab Carlsen via Twitter zu und verfiel nach der Corona-Denkpause für seinen Geschmack zu oft in tiefes Grübeln. Immerhin freute sich der Norweger darüber, nach der langen Abstinenz überhaupt mal wieder das Haupt über das hölzerne Brett beugen zu dürfen. „Wer weiß, wann wir wieder ein klassisches Turnier spielen können“, sinnierte er abschließend.
Um wieder in WM-Form zu kommen, bleibt dem Genie noch genug Zeit. Der nächste WM-Herausforderer ist erst mal ausgebremst. Das Ende März in Jekaterinburg zur Halbzeit abgebrochene Kandidatenturnier musste der Schach-Weltverband Fide jetzt wegen der Pandemie erneut verschieben und soll nun ein Jahr später den Herausforderer ermitteln. Die WM-Titelverteidigung plant die Fide erst für November 2021.
Trotz der ausbleibenden Millionenbörse muss sich Carlsen aber im Gegensatz zu zahllosen Großmeistern aus der zweiten Reihe keine Sorgen um sein täglich Brot machen. Den durch Corona einsetzenden Onlineschach-Boom nutzte der 29-Jährige, um seine Play Magnus Group an die Osloer Börse zu bringen. Laut FAZ können die Papiere dort zwar noch nicht frei gehandelt werden, aber der prall gefüllte norwegische Pensionsfonds, der New Yorker Hedgefonds Luxor Capital und weitere Investoren sollen Anteile für zusammen mehr als 50 Millionen Euro erworben haben.
Auch wenn Carlsen sich das „normale Leben“ am Holzbrett zurückwünscht, sieht er eine blühende Zukunft für sein Investment: „Onlineturniere werden Bestand haben. Ich denke, sie werden auch nach Covid-19 einen wesentlichen Anteil am Turniergeschehen behalten“, meint er.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Selenskyj bringt Nato-Schutz für Teil der Ukraine ins Gespräch
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Überraschende Wende in Syrien
Stunde null in Aleppo