Niederländischer Rechtspopulismus: Der eine Mann seiner Partei
Er polemisiert, er provoziert, er hetzt: Geert Wilders hat das Erbe des 2002 ermordeten Rechtspopulisten Pim Fortuyn angetreten. Seine Freiheits-Partei erhält immer mehr Zulauf.
ARNHEM taz Die Stadt Arnhem erwartet ungewohnten Besuch. In den Straßen um das Hotel Haarhuis und davor patrouillieren Polizisten, Wächter eines Sicherheitsdienstes stehen auf dem Bürgersteig. Drinnen soll eine der seltenen Veranstaltungen der Partij voor de Vrijheid (Partei für die Freiheit) stattfinden. Zutritt erhält nur, wer sich über die Webseite der Partei mit seinen Daten angemeldet hat. In dem verglasten Haupteingang stellen sich die vorsortierten Besucher für die Sicherheitskontrolle an, sie werden auf Waffen untersucht. Ein Spürhund schnüffelt am Gepäck - die PVV will schon sehr genau wissen, wer sie besucht.
Abgeschirmt betritt Parteichef Geert Wilders den Veranstaltungsort durch den Hintereingang. Der Rechtspopulist wird hier sprechen, seinetwegen der ganze Aufwand. Die gut 200 Anhänger, die Webcheck und Sicherheitskontrolle überstanden haben, sind fast ausnahmslos sogenannte Autochthone, also einheimische "weiße" Niederländer. Und deutlich mehr Männer als Frauen. Dann schließen sich die Türen, Medienvertreter sind unerwünscht und müssen draußen bleiben.
Der 46-jährige Wilders ist ein harscher Islamkritiker. Sein Thema sind islamistischer Fundamentalismus und Integration oder besser die mangelnde Integration von Muslimen in den Niederlanden. Wilders will am liebsten möglichst viele Muslime aus den Niederlanden abschieben. Auf seiner Webseite nennt er sich einen Freiheitskämpfer und behauptet, sich um die Identität der Niederlande zu sorgen.
Seine Partij voor de Vrijheid ist eine Ein-Mann-Partei. Es gibt Spender, Unterstützer, Abgeordnete - doch Wilders ist das einzige Mitglied seiner Partei. Seine Mitstreiter, die für Medienkontakte speziell geschult werden, wählt er sorgfältig aus. Diese Veranstaltung in Arnhem dient unter anderem dazu, neue Kandidaten zu finden. Bei den Parlamentswahlen 2006 bekam die PVV auf Anhieb 9 von insgesamt 150 Sitzen. Sie hat bei den Europawahlen überraschend vier Kandidaten in Brüssel durchgebracht. Und bei den Gemeinderatswahlen 2010 in Den Haag und Almere wird sie erstmals kandidieren. Die PVV ist im Aufwind. Würde jetzt gewählt, käme die Partei auf etwa 30 Sitze, so die Prognosen.
Die äußerst aggressive politische Polemik Wilders ist durch zahlreiche Aussagen belegt wie: "Ich habe genug vom Islam in den Niederlanden: Keine weiteren muslimischen Immigranten! Ich habe genug von der Anbetung Allahs und Mohammeds in den Niederlanden: Keine weiteren Moscheen! Ich habe genug vom Koran in den Niederlanden: Verbietet das faschistische Buch!" Oder: "Wir müssen den Tsunami der Islamisierung stoppen! Einen gemäßigten Islam gibt es nicht." Und: "Der Kern des Problems ist der faschistische Islam, die kranke Ideologie von Allah und Mohammed, wie sie in dem islamistischen ,Mein Kampf' niedergelegt ist: dem Koran."
Wilders fordert, dass man nichtwestlichen Ausländern mit doppelter Staatsbürgerschaft - diese "marokkanischen Straßenterroristen, die große Teile der Niederlande unsicher machen" - den Pass abnimmt und sie ausweist. Er greift Probleme der Niederlande wie die Infrastruktur, Verkehrsstaus, Wohnungsnot oder Fragen des Sozialstaats auf und stellt sie in direkten Zusammenhang mit den Migranten. Mit seinen Auslassungen heizt er ein Klima der Angst und Argwohn gegenüber den Muslimen an, verkörpert aber zugleich eine real bestehende Unzufriedenheit vieler Niederländer mit der Integrations- und Immigrationspolitik. Während der letzten Haushaltsdebatte forderte er die Einführung einer "Kopftuchsteuer", die er "Kopflappensteuer" nannte - in Höhe von 1.000 Euro pro Jahr.
Geert Wilders sitzt seit 1998 als Abgeordneter im Haager Parlament, zuerst für die liberale VVD. Seine PVV hat er 2006 gegründet. Der islamistische Fundamentalismus war sein Thema von Anfang an. Er positionierte sich gegen das Establishment, gegen "die Elite", er vertritt, wie er behauptet, "das Volk". Das sind in dieser Legislaturperiode genau 5,9 Prozent der Wähler.
Während Wilders zu seinen Anhängern spricht, ist in Arnhem ein Fackelzug unterwegs. Die Bürgermeisterin hat angeordnet, die Demonstranten auf Abstand zum Hotel zu halten. Die Plattform "Wilders schließt auch dich aus" hat zu der Aktion aufgerufen.
Bereits am Tag zuvor hatten sich Bürger zu einer Debatte in einem Jugendzentrum getroffen. Es geht um die Gründung eines außerparlamentarischen Netzwerkes. Auf den Stühlen in dem bunt gestrichenen Raum sitzen auch sogenannte Allochthone, also Niederländer mit Migrationshintergrund. Ein älterer Muslim meldet sich gleich zu Wort. Er ist empört. Er bezeichnet Wilders als "Unruhestifter". Er fordert, man solle den Koran auf "anständige" Weise und "vorurteilsfrei" lesen. Wilders präge einen verkehrten Begriff vom Islam. "Al-Qaida ist nicht das, was Muslime leben wollen", betont er.
Andere äußern ihr Unbehagen, weil die Politiker versagt hätten und im Parlament in den vergangenen Jahren nicht scharf genug auf Wilders reagiert worden sei. Der Student Mattijs van de Sande, 25, einer der Sprecher der Plattform, sagt: "Wir müssen stärker Position beziehen gegen diesen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus. Wilders hat Anziehungskraft, er bietet einfache Lösungen, die nicht funktionieren und inhuman sind." Annelies Ibes, sie ist Kommunikationstrainerin, meint, dass die Beleidigung von Minderheiten nicht zur Lösung der Probleme im Land beiträgt. "Die Menschen fühlen sich nicht gesehen und nicht gehört. Man muss aus diesem Aggressionsmuster aussteigen."
Etwa eine Million Migranten muslimischen Glaubens lebt in den Niederlanden. Anfang 2010 wird in einem Strafverfahren geprüft, ob Wilders zu Hass anstiftet und Muslime und ihren Glauben diskriminiert. Oder ob seine Äußerungen durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sind. Wegen seiner "einseitigen, stark verallgemeinernden Formulierungen mit radikaler Tendenz und zunehmender Heftigkeit", so nannten es die Richter, ordneten sie Strafverfolgung an.
Auf politischer Ebene hat es an diesem Tag in den Medien einen heftigen Schlagabtausch gegeben. Laut De Volkskraant stufen drei Wissenschaftler Wilders Haltung als "rechtsextrem" ein, die PVV unterminiere die Demokratie. Die Untersuchung wurde im Auftrag des Innenministeriums durchgeführt. Der Abschlussbericht soll im Dezember veröffentlicht werden. Er teile die Einschätzung der Wissenschaftler, sagte daraufhin Eberhard van der Laan, Minister für Wohnen und Integration von der mitregierenden sozialdemokratischen Partij van de Arbeit (PvdA). Der Führer der linksliberalen Oppositionspartei D66, Alexander Pechtold, erklärte, er habe schon immer gesagt, "Geert Wilders ist ein Rassist und extrem rechts". Pechtold bietet Wilders im Parlament regelmäßig Paroli.
Wilders hält dies für den "soundsovielsten kranken Versuch der Elite", die PVV zu dämonisieren. Pechthold und van der Laan würden zu einem "Klima von Hass und Gewalt" gegen ihn und die PVV beitragen, sagt er, sie würden wie die "politischen Handlanger von Mohammed B." agieren. PvdA und D66 hätten scheinbar nichts gelernt aus dem Mord an Pim Fortuyn.
Starke Worte. Zur Erinnerung: Mohammed B. ist ein niederländischer Islamist marokkanischer Herkunft. Er hat am 2. November 2004 in Amsterdam am helllichten Tag den Filmemacher, Kolumnisten und Berufsprovokateur Theo van Gogh auf der Straße mit mehreren Kugeln niedergestreckt und die Kehle durchgeschnitten. Van Gogh hatte den islamkritischen Film "Submission" gedreht. Der Rechtspopulist Pim Fortuyn wiederum wurde 2002 von einem militanten Tierschützer erschossen.
Im Hotel ist die geschlossene Gesellschaft nach gut zweieinhalb Stunden beendet. Nun hat Wilders Zeit für Journalisten. Da steht er, abgeschirmt durch seinen Wachschutz. Er trägt eine silberne Krawatte zu seinem blondierten Schopf, er ist hellwach, konzentriert und spricht seine Sätze in rasendem Tempo. Seit Oktober 2004 steht er unter Personenschutz, seit dem Mord an Theo van Gogh wird er rund um die Uhr bewacht. Wie es ist mit permanenter Bewachung zu leben? Wilders: "Das wünscht man seinem ärgsten Feind nicht. Ich habe meine persönliche Freiheit vor fünf Jahren verloren. Ich bin niemals allein. Ich habe keine Privatsphäre. Es ist ein hoher Preis." Dann, kämpferisch: "Menschen, die undemokratische Mittel gebrauchen und mich in diese Situation gebracht haben, wollen, dass ich tot bin. Die mit al-Qaida verbundenen Organisationen würden gewinnen, wenn ich aufhöre oder einen moderaten Ton anschlage. Ich werde das niemals tun. Es ist nicht einfach. Aber es ist der einzige Weg."
Auf die Frage nach dem Vorwurf, die Demokratie zu untergraben, antwortet er: "Das ist eine furchtbare Anschuldigung. Wir wurden demokratisch gewählt und nutzen ausschließlich demokratische Mittel. Wir verfügen über neun Sitze im Unterhaus, in den Wählerumfragen hat sich diese Zahl jetzt verdreifacht. Also glaube ich, dass eine Menge Politiker nicht allzu glücklich darüber ist, dass sie Stimmen an unsere Partei verlieren. Vielleicht ist das ja ein Teil der Motivation für diesen Angriff", so Wilders Lesart.
Beim Hinausgehen sitzt die Truppe vom Wachschutz wartend im Gang. Die Sicherheitsschleuse ist abgebaut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland