Niebels letzter Auftritt: Mindestlohn bei H&M
TextilarbeiterInnen in Indien oder Bangladesch sollen existenzsichernde Löhne erhalten. Selbst der scheidende FDP-Minister ist dafür.
BERLIN taz | Der Modekonzern H&M hat TextilarbeiterInnen vor allem in Asien mehr soziale Sicherheit versprochen. „Alle unsere Zulieferer sollten ihren Beschäftigten existenzsichernde Löhne zahlen“, sagte H&M-Managerin Helena Helmersson am Montag in Berlin. In die Praxis umgesetzt, würde eine solche Politik dazu führen, dass die Löhne in Bangladesch, Indien oder China stark steigen.
Helmersson sprach bei der Konferenz über „Living Wages“, also Existenzlohn, die unter anderem vom niederländischen Außenministerium und dem deutschen Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) organisiert worden war. Unter „existenzsicherndem Lohn“ versteht man eine Bezahlung, die die Grundbedürfnisse der ArbeiterInnen und ihrer Familien sichert. Meist müsste sie wesentlich über den Mindestlöhnen liegen, die Gesetze in Bangladesch und anderen textilexportierenden Staaten vorsehen.
Abgedeckt werden müssen außerdem Altersvorsorge, Bildungsausgaben für die Kinder und gewisse Ersparnisse. Das gilt auch für Deutschland. Hartz IV oder auch der künftige Mindestlohn reichen in vielen Fällen nicht aus, um die Existenz einer drei- oder vierköpfigen Familie mit einem Einkommen zu sichern.
Insofern war es auf den ersten Blick erstaunlich, dass in einer seiner letzten Amtshandlungen ausgerechnet FDP-Minister Dirk Niebel die Konferenz eröffnete – schließlich gehören Regelungen für höhere Löhne nicht zu den Prioritäten der im September aus dem Bundestag geflogenen Liberalen. Offenbar konnte sich Niebel aber auch deshalb für das Thema erwärmen, weil es um einen freiwilligen Prozess geht, dessen Ergebnisse vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern weit weg von Deutschland eine Rolle spielen.
Insgesamt besteht ein frappierender Widerspruch: Das Recht auf eine existenzsichernde Bezahlung steht in der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen. Trotzdem fühlt sich kaum einer der internationalen Konzerne wie H&M, Walmart, Apple oder Adidas daran gebunden – unter anderem, weil Regierungen und Rechtssysteme sie nicht dazu zwingen.
Beispiel Bangladesch: Die Arbeiter müssten eigentlich umgerechnet 62 Euro monatlich erhalten, sagte während der Konferenz Lilianne Ploumen, Entwicklungsministerin der Niederlande. Tatsächlich wurde der Mindestlohn dort unlängst auf 50 Euro angehoben. „Eine große Verbesserung, aber nicht genug“, so Ploumen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen