: Nichts als leere Hände
Über den Streit, wie der Sport popularisiert werden soll, hat sich die Karate-Welt gespalten. Am Wochenende ermitteln die Karatekas in Bochum ihre Halbweltmeister ■ Von Ulrike Bohnsack
Bochum (taz) – Die sechzehn Männer und Frauen in der Halle sind angespannt: Die bloßen Füße in Schrittstellung, die Arme angewinkelt, fixieren sie ihr Gegenüber. Der Atem geht schnell, Schweiß perlt auf der Haut und sorgt für dicke Luft. Ein kleiner drahtiger Mann beendet mit einem unverständlichen Wortschwall die Stille, und auf sein langgezogenes „aiiins, zwaiii, draiii“ attackiert die eine Reihe weißer Anzüge die andere mit Fauststößen, Tritten und Kampfschreien. Meister Hideo Ochi beobachtet seine schnaufenden Schüler mit einem Lächeln. „Ja ja, sie haben gute Chancen, ich bin sehr zufrieden“, lobt der Kahlkopf die deutschen Karateka.
Über mögliche Plazierungen im freien Kampf (Kumite) bei den Weltmeisterschaften, die am 12. und 13. Juni in Bochum stattfinden, will der „Sensei“ nicht spekulieren. Aus Respekt vor den gut 60 startenden Nationen. Auf die Kunst der leeren Hand (kara te) verstehen sich längst nicht mehr nur die Japaner. Und das hat die Anhängerschaft gespalten: Erbittert wird darüber gestritten, wieviel „Show“ die sich am Zen orientierende Kampfkunst verträgt. Anders ausgedrückt: Hat der Leichtkontaktstil noch etwas mit dem traditionellen Karate zu tun, das verlangt, den Angriff hautnah am Partner zu beenden, ohne ihn zu verletzen?
Nun, wer sich nicht einigen kann, gründet einen eigenen Verband. So zieht es die Verfechter der alten Schule zur Japan Karate Association, während sich die Befürworter der publikumswirksameren Variante eben der World Union Karate Organisation anschließen.
Auf nationaler Ebene herrscht der gleiche Verbände-Wirrwarr. Die Quittung für die unversöhnlichen Positionen gibt es alle vier Jahre: In Sydney ist Karate wieder nicht Demonstrationssportart, im Taekwondo wird dagegen erstmals olympisches Gold vergeben. Die leere Hand schlägt sich selbst.
Mit den Weltmeisterschaften in Bochum versucht die World Karate Confederation (WKC), die Streithähne zumindest in dieselbe Halle zu lotsen. Beide Auffassungen werden toleriert, Weltmeister werden sowohl im traditionellen Shobu-Ippon-System als auch im Shobu-Sanbon-System mit seinen Gewichtsklassen und Faustschützern ausgekämpft. Ein Doppelstart ist allerdings nicht möglich. „Die richtig guten Leute würden sich in beiden Systemen durchsetzen“, behauptet Martin Giehl.
Der Bochumer ist einer der acht Athletinnen und Athleten, die Hideo Ochi, Lichtgestalt des traditionellen Karate in Deutschland und Träger des 8. Dan, für die WM nominiert hat. Der Leichtkontakt-Wettbewerb wird indes ohne deutsche Beteiligung stattfinden. Der Deutsche Karate Verband, der hier seine Kämpfer hätte melden müssen, hat zufällig für dieses Wochenende nationale Meisterschaften ausgeschrieben. „Die eigentlichen Karatesportler wird man ohnehin verlieren. Die Faustschützer sind im nächsten Jahr noch dikker“, bedauert der 28jährige Giehl den Trend zum Körperkontakt. Da ist es nur eine Frage der Zeit, wann für Zuschauer und TV-Quoten die Grenze zum Vollkontakt überschritten und mit Kopf- und Brustschutz die „Ritterrüstung“ eingeführt wird.
Mit zwölf zum Karate gekommen, hat Martin Giehl in 16 Jahren etliche Titel gewonnen. International blieben die ganz großen Erfolge noch aus. Mit der Mannschaft wurde er bei der EM im April Dritter, im Einzel langte es verletzungsbedingt nur für Platz vier. Trotz des Heimvorteils bleibt er vorsichtig: „Mit der Mannschaft ist eine Medaille drin, im Einzel möchte ich die Runde der letzten acht erreichen.“
Das möchten mit ihm gut hundert Karateka, denn das traditionelle System trennt lediglich die männlichen von den weiblichen Kämpfern. So kann es passieren, daß der kleine Knubblige gegen den langen Lulatsch antreten muß oder ein 60-Kilo-Mann gegen einen 100 Kilo schweren. „Athletisch sind die alle“, warnt Giehl, der bei 182 Zentimetern 75 kg auf die Waage bringt. „Die Kleinen sind unglaublich schnell. Eigentlich kämpfe ich lieber gegen große Leute, da gibt es ein paar Tricks. Aber“, beendet er das Fachsimpeln über die Gardemaße des idealen Gegners, und es klingt wie eine japanische Weisheit, „jeder Gegner ist schwer.“
Das hat die Anhängerschaft gespalten: Erbittert wird darüber gestritten, wieviel „Show“ die sich am Zen orientierende Kampfkunst verträgt
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