Nichtreligiöse in Ghana: Nicht gottgefällig
Wer in Ghana nicht gläubig ist, gehört zu einer Minderheit. Skepsis über Religion sollte lieber vorsichtig geäußert werden.
Schatten zucken im Neonlicht. Der Bass dröhnt, Menschen tanzen und singen, klatschen im Takt zur Gospelmusik. Als der letzte Akkord verklungen ist, erklingt die Stimme des Priesters – sie tönt durch große Lautsprecher: mal beruhigend, mal verständnisvoll. Dann anklagend. Die Menschen erheben sich, sprechen Gebete, recken die Arme zum Himmel. Die Stimme des Priesters wird schneller, lauter, schließlich hält sie inne. Köpfe heben, Münder öffnen sich, und gleichzeitig sprechen sie dasselbe Wort. „Amen.“
Eine Kirchenszene in Ghana, eine von unzähligen. Hunderte verschiedene Kirchen und religiöse Abspaltungen gibt es hier: Methodisten, Anglikaner, Presbyterianer, Katholiken, Lutheraner, Sieben-Tags-Adventisten, Mormonen, Baptisten.
„Jeder kann in Ghana seine eigene Kirche gründen. Du lässt dich als Nonprofitorganisation registrieren, beginnst zu predigen, und schon kannst du so viel Geld einsammeln, wie du willst“, sagt Roslyn Mould.
Es ist früher Nachmittag, die Präsidentin der Humanist Association of Ghana sitzt in einer Bar im Szeneviertel Accras. Die holzvertäfelten Wände sind mit Bildern von afrikanischen Idolen behängt: Fela Kuti, Patrice Lumumba, Muhammad Ali. An der Decke hängt eine saitenlose Gitarre. „Kirchen sind komplett steuerfreie Einrichtungen“, sagt Mould, sie trinkt Hibiskus-Ingwer-Smoothie. „Sie sind überall, und ihr Einfluss ist es auch.“
Nur vier Prozent Ungläubige
In einer 2012 durchgeführten Studie gaben 96 Prozent aller befragten Bürgerinnen und Bürger Ghanas an, religiös zu sein – der höchste Prozentsatz aller 57 untersuchten Länder. Zwar besitzt Ghana eine säkulare Verfassung, doch selbst Parlamentssitzungen beginnen mit einem gemeinsamen Gebet. Im Kindergarten werden täglich religiöse Lieder gesungen, Grundschüler üben lesen mit Sätzen wie „Praise the Lord“.
„Die Kinder wachsen mit dieser Mentalität auf. Selbst in der Universität erzählen Professoren ihren Medizinstudenten, dass sie, falls sie die wissenschaftliche Ursache einer Krankheit nicht finden können, spirituelle Gründe in Betracht ziehen sollten.“ Roslyn schüttelt den Kopf. „Dieses religiöse Bildungssystem erstickt jedes kritische Denken im Keim.“
„Aussteiger“ trifft man selten. Cleopatra etwa ist eine, 27 Jahre alt, sie sagt am Telefon: „Ich wurde als Jugendliche der Hexerei beschuldigt.“ Als Kind habe sie sich gefragt, warum Gott nur mit dem Pastor spreche – und nicht auf ihre Gebete antworte. Deswegen sah ihre Gemeinde in ihr ein Problem, erzählt sie.
Faul und nicht gottgefällig genug sei sie genannt worden. Von Dämonen besessen. Sie begann die Bibel infrage zu stellen, las Wissenschaftsbücher, erfuhr vom Urknall, der Relativitätstheorie. „Und in der Kirche erzählten sie mir, dass Jesus übers Wasser lief und Blinde heilte. Da verlor ich das letzte bisschen Glauben.“
Oder Kofi, 25 Jahre alt, der seinen richtigen Namen nicht nennen möchte, weil er Angst hat, beschimpft zu werden. Um seinen Job fürchtet. „Ein gutes Beispiel für den Einfluss des Glaubens ist meine Schwester“, sagt Kofi: Sie wünscht sich ein Kind, wird aber seit Jahren nicht schwanger. Auf Kofis Drängen machte sie einen Fruchtbarkeitstest – und wurde für gesund befunden. „Weil sie sich die Ursache nicht erklären kann, glaubt sie nun an böse Geister. Statt Ärzten bittet sie nun Priester um Hilfe.“ Und erst vor Kurzem, meint Kofi, habe er seinem Bruder erzählt, dass es ihm manchmal nicht gut gehe. „Dass ich Depressionen habe. Ihm das zu sagen, war nicht leicht für mich.“ Wie er reagiert hat? „Er antwortete: ‚Kein Wunder, du glaubst ja nicht an Gott!‘“
Bin ich allein?
Über seine Depressionen reden kann Kofi eigentlich nur, sagt er, wenn er sich mit seinen atheistischen Freunden trifft. Die Humanist Association sei eine Familie für ihn, vielleicht „mehr als das“. Dort werde er nicht als ketzerisch oder rebellisch verurteilt. Vor allem seien sachliche Auseinandersetzungen möglich: „Hier nimmt es dir niemand persönlich, wenn du seine Meinung kritisiert.“
Roslyn Mould, die Präsidentin des Verbands, begann vor einigen Jahren das religiöse Dogma zu hinterfragen. Ein schmerzhafter Prozess, sagt sie: „Zu realisieren, dass fast alles, an das ich geglaubt hatte, nicht wahr ist, machte mich wütend, traurig. Es stellte mich vor so viele Fragen: Wie finde ich meine Moral? Auf welcher Grundlage treffe ich meine Entscheidungen? Und vor allem: Bin ich allein mit meinen Gedanken?“
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Es dauerte, bis sie auf die Facebook-Gruppe Freethought Ghana stieß: ein Netzwerk ghanaischer Atheisten und Freidenker. Später entstand aus ihm die Humanist Association of Ghana, ein mittlerweile eingetragener Verein. Ihre Ziele: die Förderung kritischen Denkens, humanistischer Grundwerte, Menschenrechte. „Natürlich auch Religionsfreiheit“, sagt Roslyn Mould in Accra, „es geht uns ja nicht darum, Menschen von der Religion abzubringen.“
In der Gruppe würden die Mitglieder Rückhalt finden – Bestätigung, Verständnis, Beistand nach dem Outing. „Viele gebildete Leute, Wissenschaftler und Menschen in Führungspositionen sind religionskritisch, haben aber wegen des gesellschaftlichen Drucks Angst, sich zu outen. Ehrlich gesagt“, sagt sie und muss lachen, „ehrlich gesagt glaube ich ja, dass sogar unser Präsident nicht so religiös ist, wie er öffentlich vorgibt zu sein.“
Der „HAGtivist Podcast“
Um eine öffentliche Debatte anzuregen, produzieren einige Mitglieder derzeit den „HAGtivist Podcast“: Sie analysieren aktuelle Probleme, reden über den Nahostkonflikt, über die embryonale Stammzellenforschung, Datenschutzgesetze, die Abtreibungsdebatte. Sie wollen eine Grundlage schaffen für Rationalität.
Roslyn Mould hat ihren Smoothie noch nicht ausgetrunken, als in Accra die Nacht hereinbricht. Wie immer dauert die Dämmerung nur Minuten, dann ist es dunkel, die Bar voll. Bald werden Highlife-Bässe die Gespräche verstummen lassen, Stühle werden sich leeren, die Tanzfläche wird sich füllen.
Für Mould aber ist es Zeit. Ihr Tag beginnt früh, morgen fliegt sie zu einem Humanistentreffen nach Kenia. Sie erhebt sich, steht kerzengerade, sagt: „Humanismus steht für nationenübergreifende, weltweite Werte. Wir müssen das große Ganze kennen, um es im Kleinen umzusetzen.“ Sie hat gelernt zu predigen. „Es gibt eine Menge zu tun“, sagt sie, und geht.
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