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Nicht in der Nase bohren!

■ Das Junge Theater führte im Concordia als Premiere Tschechows Komödie „Die Möwe“ auf. Überzeugend war nur die Langeweile. Trotz guter DarstellerInnen krankte die Inszenierung an einem unausgegorenen Konzept

Die schwierigste Komödie ist diejenige, die gar keine ist. Anton Tschechows Theaterstück „Die Möwe“ beispielsweise handelt von einem Mädchen namens Nina, das von dem berühmten Schriftsteller Trigorin geschwängert und verlassen wird. Es handelt auch von dessen Jugendliebe, dem Jungautor Trepljow, der sich am Ende erschießt. Und dann besteht das Werk zum großen Teil auch noch aus der Darstellung der reinen Langeweile.

An diese schon beinahe Anti-Komödie wagte sich nun das Junge Theater Bremen heran. Am Sonntagabend feierte im Concordia die Interpretation der Regisseure Ralf Knapp und Anke Thiessen unter dem Titel „Tschechow/Möwe/Komödie“ ihre Premiere. Und wie sich bald herausstellen sollte, war die Langeweile den jungen Schauspielern schon mal gut gelungen. In Erwartung der Uraufführung von Trepljows (Claus Franke) neuem Drama wartete das aus der sechsköpfigen Gesellschaft des Landgutes bestehende Publikum auf einer Bank: Mit dem Vorhang im Rücken und dem „wirklichen“ Publikum zugewandt. „Aufwendiges Bühnenbild“ murmelte nach längerem Schweigen der Lehrer Medwedjenko (dargestellt von Ralf Knapp). „Ja, wo der die wohl alle herbekommen hat!“, fügte Trepljows Mutter Arkadina (Nomena Struß) bei. Nach diesem mäßig erheiternden und viel zu lange dauernden Beglotzen der Zuschauerränge ging der Vorhang – oh Schreck – hinter dem Rücken der Banksitzer auf. Die Schauspielerin Nina spielte dann gelangweilt, sich zwischendurch mal einen Schluck aus der Bierdose genehmigend, ihren Monolog herunter. Es ist zweifellos nicht leicht, ein Theaterstück im Theaterstück vorsätzlich schlecht spielen zu lassen. Mit einem lächerlichen Herunterleiern kann man diese Herausforderung umgehen. Lustig ist das dann allerdings auch nicht.

Was tut man, wenn der Funke einfach nicht überspringen will? Richtig: Man beziehe einfach das Publikum in das Geschehen ein. So fragte also Irina Arkadina einen Herrn aus der ersten Reihe, ob er nicht mal an ihrem Lolli lecken wolle, und der berühmte Schriftsteller Trigorin (Michael Pundt) stiefelte mit einer tragbaren Kamera zwischen den Sitzreihen herum. Auf die Bühne gestellte Bildschirme zeigten dessen eingefangene Bilder. Big Brother im Concordia: Vorsicht, jetzt nicht in der Nase bohren, sonst sieht's ja jeder! Ach ja: Wozu eigentlich das Ganze? Keine Ahnung, aber es erhöht die Spannung.

Die Absicht, das von Trepljow geäußerte Verlangen nach „neuen Formen des Theaters“ zu erfüllen, mag ja ehrenwert sein. Doch der Versuch, Tschechows verdeckten Humor gewaltsam ans Licht zu zerren, misslang. Und er erforderte ein unnötiges Opfer: Die Tragik. Wenn Trepljow noch kurz zuvor als weinerlich lallendes Muttersöhnchen erscheint, ist man über dessen finalen Kopfschuss schon fast froh. Dabei waren die schauspielerischen Leistungen gar nicht schlecht. Vor allem Nomena Struß wusste zu überzeugen. Die von ihr als exaltiert und anerkennungssüchtig dargestellte Mutter des jungen Trepljow konnte mit Traurigkeit nicht umgehen. Auch im Weinen versuchte sie noch, künstlich zu lachen. An sich eine interessante Interpretation. Allein die Konzeption dieser Inszenierung war auch durch beste darstellerische Leistungen nicht zu retten. Johannes Bruggaier Weitere Aufführungen vom 14. bis 17. und 19. November, jeweils um 20 Uhr im Concordia. Karten und Infos unter: Tel.: 700 141

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