: Nicht auf Obduktionsbefund warten
■ Leukämie in Hamburg: Deutlich mehr Kinder an Blutkrebs erkrankt Von Heike Haarhoff
In den vergangenen fünf Jahren sind in Hamburg deutlich mehr Kinder an Blutkrebs erkrankt als in vergleichbaren Zeiträumen der 80er Jahre. Die erschreckende Nachricht geht aus einer Studie des Hamburgischen Krebsregisters zur Kinderleukämie in Hamburg zwischen 1980 und 1994 hervor, die Gesundheitssenatorin Helgrit Fischer-Menzel (SPD) gestern vorstellte. Insgesamt sind zwischen 1990 und 1994 in Hamburg 52 Kinder unter 15 Jahren an Leukämie erkrankt; in den fünf Jahren davor registrierte das Hamburger Krebsregister „nur“ 34 neue Fälle. Unklar sei allerdings noch, ob es sich bei der Steigerung „um eine Schwankung“ oder „einen Trend“ handele. Denn: In den vergangenen 25 Jahre erscheine die Entwicklung dennoch stabil, versuchte die Senatorin zu beruhigen.
Weiteres überraschendes Ergebnis: „Die von den Medien berichtete Leukämiehäufung in den Vier- und Marschlanden konnte nicht bestätigt werden.“ Im Bezirk Bergedorf lägen die Erkrankungsraten in allen Ortsteilen außer Kirchwerder und Bergedorf unter dem Hamburger Durchschnitt. Statistisch bedeutsam seien aber auch diese Abweichungen nicht. Auch von einem erhöhten Risiko in Neu-Allermöhe, wo gehäuft Leukämie-Fälle bekannt geworden sind, wollen BAGS und Krebsregister nichts wissen: Zwei der vier erkrankten Kinder seien erst kurz vor der Diagnosestellung in den Ortsteil gezogen.
Die Studie bestreitet die Ergebnisse der Untersuchungen des Bremer Professors Eberhard Greiser, die im Februar in „Panorama“ veröffentlicht und für bundesweites Aufsehen gesorgt hatten (taz berichtete). Greiser habe das Untersuchungsgebiet nachträglich um die gefundenen Fälle „herumdefiniert“. Auf diese Weise ließen sich „beliebige lokale Auffälligkeiten“ feststellen, kritisierte Helmut Brand vom Hamburger Krebsregister.
Als „absolut absurd“ hingegen bezeichnete Eberhard Greiser die Hamburger Vorgehensweise, die Leukämie-Fälle nach Bezirksgrenzen zu untersuchen. „Diese Einheiten sagen absolut nichts aus, weil die Ortsteile vollkommen unhomogen sind“, warnte der Professor vom Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin. Uwe Clasen, gesundheitspolitischer Sprecher der GAL, und Eugen Prinz von der Bürgerinitiative Leukämie in der Elbmarsch forderten gestern Taten statt weiterer Zahlen: „Grenzwerte müssen jetzt geändert werden. Wir brauchen nicht erst den Obduktionsbefund, um zu wissen, daß unsere Kinder akut gefährdet sind“, so Eugen Prinz.
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