"New York Times"-Ökonom im Interview: "Die USA brauchen einen Reformpräsidenten"
Paul Krugman, Starkolumnist, Ökonom und Bush-Kritiker, sorgt sich nicht nur um die Wirtschaftspolitik. Er wünscht sich radikale Reformen im Gesundheitssystem.
Paul Krugman, 54, ist Wirtschaftsprofessor an der Princeton University und Spezialist für Handelswissenschaften. Berühmt machten ihn seine scharfzüngigen Kolumnen in der New York Times und seine Kritik an der Bush-Regierung. In diesen Tagen erschien beim Campus Verlag auf Deutsch sein neues Buch "Nach Bush.Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten" (320 Seiten, 25,60 Euro).
taz: Herr Krugman, die USA sind an der Schwelle zu einer Rezession. Wie schlecht ist die Lage?
Paul Krugman: Niemand weiß das so genau. Die Daten sind düster. Und sie werden zunehmend düsterer. Aber eines hellt das Bild auf - die Exporte haben zum Teil kompensiert, was die Immobilienkrise an Ausfällen produziert hat. Wenn man sich die Daten ansieht und auch die Ursachen für den Einbruch des Wachstums, dann muss man allerdings leider sagen, dass es schwere Rezessionen gab, die ähnlich begannen. Etwa in Japan 1992 und Finnland 1991.
Ihre Kritiker würden wohl sagen, das ist der übliche linksliberale Pessimismus.
Oh, das sagen sie immer. Als ich darauf hinwies, dass wir eine riesige Immobilienblase haben, meinten sie, dass ich dies nur sage, weil ich Bush hasse. Aber ich hatte recht. Das war die größte Immobilienblase in der US-Geschichte, und es ist absurd, zu sagen, dass das keine gefährlichen Auswirkungen hat.
Können Sie mal erklären, warum eine Krise des Immobilienmarkts und in der Folge der Kreditmärkte zu niedrigerem Wachstum und weniger Beschäftigung führen muss?
Nun, grob gesagt aus drei Gründen: Erstens: Es wird praktisch nichts mehr gebaut, und darunter leidet die Bauwirtschaft, die Millionen Menschen beschäftigt. Zweitens: Es ist in den USA üblich, dass die Menschen Hypotheken auf ihre Häuser aufnehmen, um sich andere Dinge zu kaufen. Das passiert nun weniger, deshalb lässt der Konsum nach. Viele Leute haben jetzt Schulden, die den Wert ihrer Häuser übersteigen. Drittens: Für die Versicherungsinstitute ist das ein schwerer Schlag, weil es sehr, sehr viele Leute geben wird, die ihre Kredite nicht mehr bedienen können, was die Kreditversicherer trifft. Das führt zu einer schwierigen Lage auf den Kapitalmärkten. Wir haben jetzt schon die schwerste Kreditkrise seit 17 Jahren.
Also kann es zu spektakulären Zusammenbrüchen von Versicherungen kommen?
Ja, das ist möglich. Wir wissen gar nicht, wie schlecht die Lage der Kreditversicherer wirklich ist. Aber wie auch immer, ein simpler Fakt ist: Es gibt eine zunehmende Zurückhaltung, Geld zu verleihen. Und das hat unmittelbare Folgen für Investitionen und damit für Wachstum und Beschäftigung.
Wenn es in den USA zu einer Rezession kommt - muss das notwendigerweise Auswirkungen auf Europa haben?
Notwendig ist das nicht. Europa exportiert nicht so viel in die USA, dass sinkende Nachfrage einen großen Effekt auf die europäische Wirtschaft hätte. Aber die Finanzmärkte sind eng verflochten, und die allgemeine Zukunftszuversicht in Europa hängt sehr davon ab, wie es in den USA läuft. Und das hat Auswirkungen auf Konsumenten- und Investitionsverhalten. Alle historische Erfahrung lehrt, dass eine Rezession in den USA zu einem Wachstumseinbruch in Europa führt.
Die Bush-Regierung hat nun ein Konjunkturprogramm aufgelegt, die Zentralbank hat die Zinsen gesenkt. Hilft das?
Alles hilft, klar. Doch Bushs Konjunkturprogramm ist nicht massiv genug. Die Steuererleichterungen helfen weitgehend den Wohlhabenden, und die werden nur einen kleinen Teil des Geldes ausgeben. Das bringt höchstens etwas im Bereich von einem Bruchteil eines Prozents des BIP - und das ist viel zu wenig. Die Zinssenkungen helfen. Allerdings auch nur bedingt, weil Zinssenkungen üblicherweise am stärksten die Bauwirtschaft stimulieren. Und der Hausbau hat sich erledigt im Augenblick.
Bei den Präsidentschaftswahlen dreht sich jetzt alles um die Wirtschaft - hilft das den Demokraten?
Klar. Die Republikaner werden mit John McCain wohl jemanden aufstellen, der über sich gesagt hat, er verstehe nichts von Ökonomie.
Glauben Sie, dass ein demokratischer Präsident das Land substanziell verbessern würde?
Ehrlich gesagt, ich bin etwas besorgt. Die wichtigste Frage ist das Gesundheitssystem. Wir haben noch immer keine allgemeine Krankenversicherung. Trotzdem ist das Gesundheitssystem teurer als die europäischen Systeme. Diese Lücke im US-Sozialsystem muss endlich geschlossen werden. Aber keiner der demokratischen Kandidaten wirft sich dafür ausreichend ins Zeug. Wer das aber nicht im Wahlkampf mit klaren Konzepten durchkämpft, der kriegt eine solche Reform auch nicht durch den Kongress - das ist die Lehre des Scheiterns von Bill Clintons Bemühungen in den 90ern. Vor allem Obama laviert zu sehr. Dabei bräuchten wir einen wirklichen Reformpräsidenten.
Warum so pessimistisch?
Na, wegen des Nominierungswettbewerbs der Demokraten. Obama redet wie ein Prediger Wischiwaschi-Zeug, und alle reden über die Tränen von Hillary Clinton, ob sie jetzt menschlich genug ist oder nicht.
Aber Hillary Clinton will schon sehr ähnliche Dinge wie Sie, oder?
Ja, wenn sie gewinnt und eine Mehrheit im Kongress hinter sich hat, dann wird das für das Land sehr nützlich sein. Da bin ich ziemlich über Kreuz mit vielen meiner Freunde und Bekannten. Alle finden Obama so toll, weil er so toll redet, dass das Land den Wandel braucht. Und er ist bestimmt ein klasse Kerl, aber ob er genug Ideen und genug Biss hat?
Und wer wäre Ihr Favorit?
Das darf ich nicht sagen. Das hat mir die New York Times verboten. Sie müssen raten.
Hillary Clinton?
Das haben Sie gesagt.
Selbst der Super Tuesday hat keine Entscheidung gebracht. Wie geht es jetzt weiter im Clinton-vs.-Obama-Wettbewerb?
Möglicherweise gibt es erst am Nominierungsparteitag im Sommer eine Entscheidung. Gott weiß, wie das ausgeht. Vielleicht steigen beide aus und sie geben Al Gore die Kandidatur.
Ihr neues Buch ist das Bekenntnis eines entschiedenen "Liberalen" - was in Europa so viel heißt wie "Sozialdemokrat" oder "Linker". Aber Liberaler ist doch in den USA noch immer ein Schimpfwort.
Ja, das ist ein Problem. Die Neocons haben erfolgreich die Liberalen dämonisiert. Wenn man die Leute fragt: "Bist du ein Liberaler?", sagen die meisten: "Um Gottes willen, nein!" Fragt man sie, ob sie für ein effektives Gesundheitssystem für alle sind, dann sind sie dafür.
Haben sich die Linken zu sehr um Homoehe, Rassismus, Feminismus gekümmert und zu wenig um soziale Fragen?
Es gibt Leute, die das sagen. Ich finde, das hängt zusammen. Vor allem der Rassismus hat dazu geführt, dass es keinen voll intakten Sozialstaat in den USA gibt. Warum haben arme weiße Arbeiter im Süden begonnen, Republikaner zu wählen? Weil die Demokraten sich auf die Seite der Bürgerrechtsbewegung gestellt haben. Die Republikaner haben den Rassismus benutzt, um den Sozialstaat schlecht zu machen - das Geld würde ja nur den schwarzen Müttern zu Gute kommen, die so viele Kinder kriegen, wurde getrommelt.
Die Menschen sind gegen den Wohlfahrtsstaat, wenn sie fürchten, die ethnisch Anderen kriegen das Geld?
Dann sind sie sogar bereit, gegen ihre eigenen ökonomischen Interessen zu stimmen.
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