Neustart der Fußball-Bundesliga: Danke, danke, danke!
Die Einigkeit der Profiklubs ist größer denn je. Selbst beim gern rebellischen 1. FC Union Berlin preist man die Deutsche Fußball-Liga.
Zehn Tage vor dem großen Auftritt gegen Bayern München durften die Profis von Union Berlin am Donnerstag im Stadion an der Alten Försterei üben. Und lockerer ist vor solch einem Spiel wohl noch nie trainiert worden in der Fußball-Bundesliga. Vor den jeweiligen Toren hatte sich der Kader weitflächig und recht statisch aufgeteilt. Eckbälle ohne Gegenspieler wurden einstudiert. Die Spieler kamen sich dabei nicht zu nahe. Für den Trainingsplan war nicht Trainer Urs Fischer, sondern wohl ein letztes Mal das lokale Berliner Gesundheitsamt verantwortlich.
Die Szenerie verdeutlichte, wie rasant die Profis sich nun umzustellen haben. Denn vor der Heimpartie gegen die Bayern wird Fischer sein Team in den nächsten Tagen sicherlich darauf einschwören, dass man dem Rekordmeister keinen Millimeter Platz lassen darf und ein solches Spiel allenfalls über eine intensive Zweikampfführung zu gewinnen ist. Lediglich die Rahmenbedingungen des Trainings waren schon sehr wettbewerbsnah. Auf den Rängen des Stadions befanden sich nur ein paar Pressevertreter.
Klagen über die Hetze bei der Wiederaufnahme der Saison wird man in der Fußballbundesliga nicht hören. Selten war die Einheit der Profivereine größer. Das veranschaulicht gerade das Beispiel Union Berlin gut. Ein Verein, der seinen Oppositionsgeist akkurater pflegt als seinen Rasen. Am Donnerstag vernahm man aber von Präsident Dirk Zingler ungewohnt vorbehaltlose Lobpreisungen über den Ligaverband: „Ich bin dankbar, dass wir so eine professionelle Organisation haben mit so einem starken Konzept.“ Ein Satz, den man sich bei der DFL möglicherweise einrahmen lassen wird.
Das Wort „dankbar“ fiel auf der Pressekonferenz von Union Berlin mit Zingler ohnehin am häufigsten. „Dankbar“ war Zingler auch den politischen Entscheidungsträgern, die das Hygienekonzept der DFL für gut befunden hatten und am Mittwoch den Saisonstart genehmigten.
Große Erleichterung
Und ähnlich wie viele Klubvertreter bevorzugte der Präsident von Union die leisen Töne. Kritik aus der Gesellschaft am frühen Wiederbeginn seien nachvollziehbar. „Dass die Menschen unzufrieden sind, wenn es im Kindergarten langsamer geht als im Fußball, das ist doch mehr als verständlich.“ Er erklärte aber auch: „Was ist die Alternative? Sollen wir das eine nicht tun, weil das andere nicht geht?“
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Die Erleichterung darüber, dass das Geschäftsrad des Fußballs trotz der nach wie vor unsicheren Perspektiven wieder in Gang gebracht wird, ist allerorten mit Händen zu greifen. Wesentlich forscher und eigenwilliger verhielt man sich bei Union noch Anfang März. Entgegen den Empfehlungen von Gesundheitsminister Jens Spahn hielt man damals lange an den Plänen fest, die Partie gegen den FC Bayern vor Zuschauern stattfinden zu lassen. Zingler folgte den lockeren lokalen Behörden und sagte: „Es muss in der Region vor Ort entschieden werden, deshalb entscheidet nicht Herr Spahn, sondern die Gesundheitsbehörde in Köpenick.“
Die Coronakrise hat viele gelehrt, Fehleinschätzungen zu korrigieren und sich mit neuen Ideen zu befassen. Sogar der Unternehmer Martin Kind, Präsident von Hannover 96 und bislang nicht als Freund von Geschäftsbeschränkungen bekannt, brachte dieser Tage den Vorschlag einer Gehaltsobergrenze ein. Ist das Profigeschäft wandlungsfähig? Bei dieser Frage erwachte wiederum der Oppositionsgeist von Dirk Zingler. Er wies darauf hin, solche Obergrenzen habe man bereits in einem Positionspapier 2018 vorgeschlagen. Damals prangerte Union die „krisenhaften Symptome“ des deutschen Profifußballs an und rief zu einem Kurswechsel auf. Ernst nahm das bei der DFL niemand.
Grundsätzlich, sagt Zingler, stelle er nun eine größere Bereitschaft fest, sich mit solchen Themen zu beschäftigen. „Die letzten Wochen haben dazu geführt, dass solche Diskussionen geführt werden. Wir werden uns als Verein daran beteiligen.“ Die Diskussion müsse aber über den Fußball hinaus geführt werden. Es habe ihn verwundert, dass sogar CSU-Entwicklungsminister Gerd Müller von der Krise des Kapitalismus gesprochen habe. Deutschland könne bei derartigen Debatten „eine Vorreiterposition“ einnehmen.
Man wird sehen, wie groß die Koalitionen noch sind, wenn die recht allgemeinen Bekundungen des Reformbedarfs dann etwas konkreter und detaillierter diskutiert werden. Und wie sehr sich die Fußballklubs vom Alltag wieder vereinnahmen lassen. Das wichtigste Thema beim 1. FC Union ist seit Mittwoch der nächste Gegner, der FC Bayern. Und dann folgt schon das Lokalderby gegen Hertha BSC, und drei, vier Tage später geht es gegen Mainz 05 weiter. Sollte das Hygienekonzept der DFL funktionieren, könnte die Liga wieder schnell zum Hamsterrad werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag