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Neunschwänzige Jury ehrt KünstlerinDie Vernichterin der Wände

Zu Recht erhält Monica Bonvicini den Bremer Preis für Kunst im öffentlichen Raum – obwohl die Bildhauerin nur zwei Open-Air-Plastiken schuf.

Spektakulär: Die Skulptur "She Lies" von Monica Bonvicini, die im Osloer Hafenbecken steht. Bild: Wikimedia

Zur Strafe dafür, dass sie der fabelhaften Künstlerin Monica Bonvicini am Freitag den Roland-Preis überreicht, hat das – komplett männliche – Preisgericht der Stiftung Bremer Bildhauerpreis ihrem Werk attestiert, dass es „seine druckvoll inszenierte formale Präzision mit elementaren Fragen der gesellschaftlichen Konflikt- und Reibungspotenziale im öffentlichen Raum verkoppelt“.

Dieses packpapierne Geschwurbel hat Bonvicini nun wirklich nicht verdient, das zwar sachlich richtig sein mag. Aber das doch den Eindruck weckt, als ginge es bei ihr um Proseminarscheine. Dabei geht’s um Körper, um Macht, um Sinn und Sex und Politik.

Die Preisvergabe ist eine sehr kluge Entscheidung, eine zum Bejubeln. Stolz könnte die neunschwänzige Jury darauf sein. Und doch klingt die Begründung, als wär’s ihr ein wenig peinlich gewesen, jene Frau zu ehren, die genau sich an der Grenze zwischen privatem und öffentlichem Raum abarbeitet. Sie angreift, jene männliche Setzung. Und zwar ganz direkt – indem sie, zum Beispiel, die Wand fickt.

Nicht sie selbst, nicht wie bei der von ihr bewunderten Valie Export mit dem eigenen Körper: Die 1965 in Venedig geborene Bildhauerin lässt das eine Schauspielerin besorgen. Aber sonst ist das wörtlich gemeint, auch wenn es jetzt schon wieder eine Ewigkeit her ist.

Mitte der 1990er war das, und das Video-Loop Wall Fuckin’ in einem dafür mit Rigipswänden gebauten Extraraum des Kunstamts in Kreuzberg ist sicher nicht das beste, aber das erste bewusst wahrgenommene Werk von Bonvicini. Also das erste, das wieder vor Augen kommt, sobald der Name fällt.

Wohl einerseits, weil es schon damals als eine so schlaue, so elegante Bezugnahme auf eine ganze Reihe von Künstler-Männern aufgefallen war, die in den 1970ern ihre Schädel gegen Wände gerammt hatten, wie Ben Vautier in Happenings, oder wenigstens dazu aufgerufen hatten, mit ihnen Druck auf sie auszuüben wie Bruce Nauman mit dem Performance-Skript Body Pressure (1974). Und weil das Motiv auch hier schon so selbstverständlich, so spielerisch und lustig und lustvoll auftaucht: Das ist die Wand, die Mauer, und dass sie im Normalfall bestimmt, ob ein Raum privat ist, oder öffentlich.

Bonvicini zerstört solche Wände, ohne sie kaputtzumachen. Sie lässt deren Semantik einbrechen, wendet ihren Sinn ins Absurde: In einer Galerie entfacht sie Orkanböen, die sie aber mit ausgeklügelter Technik zugleich wieder einfängt, sodass niemand die Wucht des Sturms erfährt.

Vor die Basler Kunstmesse baut sie ein Toilettenhäuschen, dessen Wände aus einseitig verspiegeltem Glas bestehen, sodass zwar nicht ins Innere geblickt werden kann, wohl aber der Blick des Besuchers jede Intimität vernichtet. Nur wie durch eine schwache Sonnenbrille gefiltert, ungebrochen geht er ins Freie, begegnet dem Publikum: Die Gesellschaft liegt im Auge des Betrachters. Das Klosett wird auf diese Weise zum öffentlichen Raum.

Deshalb passt der Preis so gut, der ja ein Preis für Kunst im öffentlichen Raum ist – obwohl es von Bonvicini bis vor drei Jahren gar keine Außenskulpturen gab: Die erste war „She Lies“, eine 2010 enthüllte monumentale Stahl-und-Glas-Reprise von Caspar David Friedrichs Eismeer-Gemälde im Fjord vor dem pompösen neuen Osloer Opernhaus, und sie feiert laut Bonvicini zwei Jahre nach dessen Einweihung „die Schönheit des Unfertigen als Zustand ewigen Wandels“.

Im vergangenen Sommer wurde dann ihr von den Auftraggebern etwas simpel als sportliche Aufforderung gedeuteter Riesenschriftzug „RUN“ eingeweiht, im Rahmenprogramm der olympischen Spiele von London. Für die Künstlerin war die Teilnahme am Wettbewerb erst interessant, „nachdem klar war, dass“ – Achtung Ironie – „die Skulptur dauerhaft an ihrem Platz bleibt“: In einem entstehenden Neubauviertel.

Mindestens so sehr wie auf die Läuferwettkämpfe scheint das Werk, das im Hellen spiegelt und im Dunkeln kunstvoll leuchtet, auf dessen potenzielle Trostlosigkeit in weiser Voraussicht zu antworten. Als Aufforderung zur Flucht.

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