: Neulich...auf dem Balkon
■ Geschichten, wie sie das Leben schrieb oder schreiben würde, wenn es könnte/In Fortsetzungen
... auf dem Balkon
Geschichten, wie sie das Leben schrieb oder schreiben würde, wenn es könnte / In Fortsetzungen
Wie ich neulich auf dem Balkon sitze und meinen Pflanzen zuplinkere - ihr, meine Tütenblumen von Comet, die ihr wie Kartoffeln auf Grünstreifen ausseht, ihr meine Wickis, die ihr schmetterschlingert im Wind - wie ich also neulich auf meinem Balkon sitze, öffnet sich unten im Hof wieder die Türe. Ich brauche nicht mehr heimlich über die Brüstung linsen; ich weiß, was kommt. Es geht so:
Kleine Schritte schlurfen über den hoch ummauerten kleinen Hinterhof. Das ist der alte Mann mit den vielen weißen Haaren und dem krummen Rücken, der kann kaum noch laufen, und darum schiebt er sich. Jetzt hört das Schlurfen auf, er muß bei der Gießkanne angekommen sein; richtig: Klickklack, das ist die Gießkanne. Und jetzt gießt er, das hört man daran, daß es jeweils zweimal schlurft (so weit ist es von Blumentopf zu Blumentopf), und dann still wird, Gießen hört man ihn nicht. Circa zwanzig kleine Blumentöpfchen müssen begossen werden. Aus allen zwanzig wächst das gleiche: ein Gerank mit blutorangenen Blütchen. Klickklack, jetzt steht die Gießkanne wieder still. Dafür geht die Türe wieder auf, das ist die kleine alte Frau, die kommt heraus wie ein Wetterfräuchen: nur dann, wenn die Sonne scheint. Und nun besprechen sie die Blumen miteinander: „Siehst du, wie diese hier gewachsen ist?“, fragt er sie. Und sie antwortet: „Ja, ich glaube, sie hat einen sehr guten Platz, nicht?“ „Ja“, antwortet er,„aber siehst du diese hier, die ist schon verblüht.“ „Ja“, antwortet sie, „wie schade, nicht?“
Zwei Stühle rücken, jetzt werden sie Schach spielen oder Kreuzworträtsel lösen, bitte Kreuzworträtsel. Meistens rät er, und sie hilft aus, weil sie am liebsten nur sitzt mit den Händen im Schoß, ruhig bis in das Klämmerchen, das die dünnen Haare aus der Stirne hält. So sitzen sie lange. Manchmal gönnen sie sich Caruso, oh meine Seele, eine halbe Stunde die Woche. Sie sitzen draußen, und Caruso singt drinnen, und damit sie ihn gut hören, hören wir alle gut mit. Manchmal gehen sie zusammen einkaufen, hintereinander, mit denselben Strohhütchen, er zieht das Einkaufswägelchen. Neulich haben sie an unserem Zaun Halt gemacht und die Hortensie besprochen. Ich kam noch rechtzeitig, um sie zu grüßen. Sie haben im Weitergehen freundlich zurückgegrüßt, und dann hat sich die kleine Frau umgedreht und gefragt: „Sind Sie Margot?“ Warum bin ich bloß nicht Margot! Claudia Kohlhas
Anm.: Ab heute wöchentlich: Neulich...im Cafe, auf der Straße, im Laden... Geschichten vom Hörensehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen