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Neuköllner Barockrokoko

■ Kurzfilme von Michael Brynntrup im »Eiszeit«

Brynntrup hat sein Werk gesichtet und meinte, es war schön. Sieben mehr oder minder kurze Filme, gedreht zwischen 1987 und 1990, hat er ausgesucht, um sie vorzuführen.

In Testamento Memori ruft eine Stimme zur Gebärsimulationsgymnastik auf, ein paar Hände schwimmen durch die Ursuppe auf dich zu und fassen dich. Dich hat's erwischt: Nun mußt du Ich sein, ob du willst oder nicht. Ein gezeichneter Totenkopf grüßt schon im Körperinnenrosa. »Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe!« deklamiert jemand aus dem Off. Ein wenig ist das wie im Traumhintergrund des psychoanalytisch Belesenen, der es schwer hat mit der Traumarbeit, weil er doch um die Bedeutungen ihrer Verwandlungen weiß. So träumt er eindeutig ironisch. »Wehe, wehe ...« ist ein Zitat aus Wilhelm Buschs Max und Moritz, das zugleich deren zermahlenes Ende meint.

In Negativfarben zerfällt das Gesicht Brynntrups. Nichts fügt sich zum Ganzen. Nicht nur bei diesem Film scheint es, als wenn nicht mehr klassische Zerstückelung, sondern Ironie, die alles noch einmal künstlich in seinen Teilen arrangiert, der moderne Preis einer verschobenen Schönheit ist. Diese Schönheit hat nichts mehr mit großmäuligen Tabubrüchen zu tun, sondern spielt sich ab auf der Höhe des Tabus, wie in den sechs Totentänzen, in denen Brynntrup Aktionen und Performances verschiedener KünstlerInnen verfilmt hat. In Totentanz 6 — der Hieronymus hat ein suchender Mönch einen Totenkopf im wunderbar billiggrünen Schilf gefunden und macht ihn zum Fetisch. Der Totenkopf ist hier nicht mehr Zeichen des Melancholikers, der erstarrt auf die eigene Endlichkeit blickt, sondern gehört zum Ensemble des Narren, der ohne Ekel recht jenseitig schließlich an den Schädelfleischresten nuckelt. Sensible heterosexuelle Lehrer, die weinend aus der Klasse rennen, wenn die Schüler sich über Splatterfilme unterhalten, werden das wieder mißverstehen und »böse« nennen, dabei ist es fast unschuldig-kindlich-pervers: »Komm, der Knochen wartet auf uns, komm, gehen wir zu diesem Knochen! Zusammen laß uns ihn benagen.« (Gombrowicz). In Die Statik der Eselsbrücken berichtet der Künstler in Badehose aus seinem Leben: »Ich heiße Michael Brynntrup und bin am 7.2.1959 geboren worden. Tod des eineiigen Zwillingsbruders bei der Geburt.« Später schneidet er sich seinen Schwanz in den Mund und erklärt: »Mit Hilfe von Rattenexperimenten konnte bewiesen werden, daß pränataler Streß als Ursache für männliche Homosexualität in Frage kommt.«

»Ganz neu, ganz anders als das, was wir bis jetzt gesehen haben«, so verkündet der Künstler, sei sein vorletzter Film: Narziß und Echo ist ein »Rätsel-«, in jedem Fall ein Kostümfilm in Schwarzweiß und 16 mm, gedreht irgendwo im Barockrokokopark nebenan, in Neukölln. Was dort im projizierten Griechentum so deutlich künstlich daherkommt, in rätselhafter Verschobenheit den weiblichen Körper als Natur gegen den steinernen Mann, Narziß, betont, ist nur eine andere Variante der Verschiebungen vom existentiellen Pathos zur Ironie in den Totentänzen. Weintrauben schauen aus dem Ausschnitt von »Tima, der Göttlichen«. Und erst, wenn Brynntrup berichtet, daß sie ein Mann ist, verwandelt sie sich zurück. Dem cocteauaffektierten Ensemble sind Tuntenstimmen aus dem Off beigelegt. Der Film wurde vom Filmbüro Nordrhein-Westfalen finanziert. Der Künstler lebt, arbeitet und dankt dem Braunschweiger ProfessorInnenpaar B&W Hein.

Brynntrups Filme bestehen aus verspielten oder verfremdeten Schlaglichtern einer Biographie, die sich — das ist normal — nicht mehr als erzählbare Geschichte anordnen lassen. Ihn scheint zu leiten, daß man Wirklichkeit, die sich nicht mehr rund fügen mag, als geschichtsloses Fragment abbilden müsse. Fragmente stehen jedoch nur so herum, als Kunst. Detlef Kuhlbrodt

Kurzfilme von Michael Brynntrup am 13.10. um 21 Uhr 30 im Eiszeit- Kino, Zeughofstraße 20, Berlin 36.

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