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Neueste Forschung zu Gletschermumie ÖtziÖtzi war (k)ein Südtiroler

Uli Hannemann
Kommentar von Uli Hannemann

Ötzis Vorfahren stammten aus Anatolien. Er neigte zu Kahlköpfigkeit und seine Hautfarbe war dunkler, als manch mitteleuropäischer Forscher dachte.

Ein Replikat des 1991 in den Ötztaler Alpen entdeckten Steinzeitmenschen „Ötzi“ Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

D er berühmte Südtiroler Gletschermann Ötzi heißt mit vollem Namen eigentlich Ötzdemir. So in etwa könnte das Kurzfazit einer neuerlichen Entschlüsselung des Genoms der über fünftausend Jahre alten Eisleiche lauten. Denn die seit der ersten Untersuchung 2012 deutlich verbesserten Analysemethoden haben ergeben, dass ihr Erbgut zu mehr als 91 Prozent von Zuwanderern aus Anatolien stammt. Das ist im Vergleich zur heutigen Bevölkerung ein erstaunlich eindeutiges Ergebnis.

Bisherige Annahmen über eine Herkunft Ötzcans aus Sardinien oder Korsika bewahrheiteten sich nicht, denn allzu weit verbreitet und demnach kaum aussagekräftig waren früher entsprechende Gen-Varianten, sodass die alte Theorie ins Leere läuft. Und auch andere Spuren, die nach Südosteuropa wiesen, fanden keine Bestätigung – damalige Proben waren offenbar schlicht mit Mitarbeiter-DNA verunreinigt worden.

Besagte Fortschritte in der Sequenzier-Technik erbrachten einem Forscherteam um den Leipziger Anthropologen Ke Wang weitere neue, detailliertere Einblicke in die genetische Veranlagung der Mumie. Das Fachblatt Cell Genomics berichtet unter anderem, dass Ötztürks ungewöhnlich dunkle Hautfarbe nicht, wie angenommen, durch eine Nachdunkelung infolge der langen Eislagerung verursacht wurde, sondern seiner tatsächlichen Pigmentierung zu Lebenszeiten entsprach.

Man war halt damals in der Region von Natur aus etwas dunkler. Eine Einsicht, die man in Südtirol, Österreich und Deutschland so einigen Humanreinheitsgebotlern von Herzen gönnt. Und auch uns braven weißen Nursechzehntelarschlöchern macht es wieder klar, wie nah wir am rassistischen Stereotyp gebaut haben, wenn selbst Wissenschaftlern das neutrale Urteilsvermögen zuweilen vom mitteleuropäisch zentrierten Blick verstellt zu sein scheint. Ötzgür ist von hier und ist nicht von hier und ist von hier. Das ist Migration, kommen wir endlich klar damit.

Von Pränazis getötet?

Das entnommene Erbgut aus dem rechten Beckenknochen, der auch 2012 Gegenstand der Untersuchung gewesen war, kündet darüber hinaus von einer genetisch bedingten Neigung zu Übergewicht, Typ-2-Diabetes sowie Kahlköpfigkeit, was auch die spärlichen Haarfunde um den Gletschermann erklärt. Die Arsenbelastung dieser Haare erklären manche Forscher mit einer Tätigkeit in der Metallverarbeitung, doch das gilt zurzeit noch als eher spekulativ.

Schon länger weiß man ja, dass Ötzoğuz mit einem Pfeil getötet wurde. Wurde er womöglich von Rechtsradikalen ermordet, die bereits im Jahr 3250 vor Christus von „Umvolkung“ und „Überfremdung“ schwafelten? Pränazis, die wollten, dass alles so blieb, wie es auch im Jahr 3350 vor Christus gewesen war, und die die Anatolier beschuldigten, ihnen die in Wahrheit doch unbeliebten, schlecht bezahlten und anstrengenden Arbeitsplätze in der Steinbockjagd, Gletscherbegehung und Metallverarbeitung wegzunehmen?

Interessanter Gedanke. Aber, frei nach der Richard-David-Precht-Regel, wie fast alle „interessanten Gedanken“ leider nur ziemlicher Unsinn. Wie bereits am hohen Reinheitsgrad seines Genoms zu sehen ist: Ötztekin war zusammen mit seinesgleichen in der Überzahl. Die inzestuöse Abgeschottetheit der alpinen Berg- und Talwelten sorgte dafür, dass das auch noch eine Weile so blieb.

Erst später folgte eine zunehmende Vermischung mit irgendwelchen dahergelaufenen vorkeltischen oder vorgermanischen Hanseln, die zu der heute in Mitteleuropa gängigen Straßenkötermischung führte. Wir sind alle ein wenig Ötzdemir. Von wegen abendländischer Menschenschlag, einmal kurz gehustet.

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Uli Hannemann
Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.