piwik no script img

■ Neues und Kreatives aus den KoalitionsverhandlungenDas Zukunftsministerium

Vier große Ministerien beherrschten das ozeanische Reich: das für Wahrheit, für Liebe, für Überfluß und für Frieden. Sie verwalteten die Lüge, die allumfassende Kontrolle, den Mangel und den Krieg. Über ein Zukunftsministerium ist bei Orwells „1984“ nichts zu lesen. Dieses Ministerium war überflüssig, denn die Zukunft stand fest. Die Vergangenheit hingegen befand sich in ständiger Bewegung.

Jetzt endlich werden wir ein Zukunftsministerium erhalten. Bildung, Forschung und Technologie sollen in einer starken Hand zusammengefaßt werden. Die Zukunft – das ist international wettbewerbsfähige Spitzentechnik mit ihrem Anhängsel, der allseitig qualifizierbaren, reaktionsfähigen, „kreativen“ Arbeitskraft. Hier gilt es, das „Diktat der leeren Kassen“ zu überwinden, „gestalterisch“ einzugreifen. Eigentlich eine bis zur Lächerlichkeit anachronistische Vorstellung. Sie hatte ihre große Zeit während des Honigmonds der Machbarkeit, den 60er und 70er Jahren. Damals wimmelte es von Zukunftsforschern, und nicht wenige Eierköpfe wiegten sich in der Illusion, der Regierung wenigstens einen Orientierungsrahmen anzudienen. Diesem Treiben machte der Eiserne Kanzler Schmidt ein jähes Ende. Innerhalb der Machteliten wurde die Staatsverschuldung zum beherrschenden Thema. Und in der Gesellschaft fraß sich seit den großen Demonstrationen vor Kalkar die Erkenntnis durch, daß es exakt Projekte wie das des schnellen Brüters waren, die Zukunft vernichteten.

Paradoxerweise verdeckt die Idee der ministeriellen Zukunfts-Verfügbarkeit etwas wirklich Notwendiges: die Planung. Jede noch so marktkonforme Regierungstätigkeit, die den ökologischen Umbau in Angriff nähme, käme ohne sie nicht zu Rande. Aber es wäre dies eine Planung, deren Ziel gerade darin bestünde, den zukünftigen Generationen noch Raum für eigene Entscheidungen zu sichern, statt ihnen die Folgekosten für unsere Zukunftsentscheidungen aufzubürden. Der Namenswahl „Zukunftsministerium“ hingegen steht ihre Herkunft aus der Orwellschen Newspeech auf die Stirn geschrieben: sie bedeutet das genaue Gegenteil des Gesagten. Christian Semler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen