Neues Videospiel über Literatur: Zocken mit Kafka
Franz Kafka erlebt anlässlich seines 100. Todestages einen regelrechten Hype. Dazu gehört nun auch das Videospiel „Playing Kafka“.
Eines Morgens erwachte Josef K. aus unruhigen Träumen. Er war zwar nicht zu einem Käfer geworden, einem Ungeziefer aus Chitin und Flügeln, doch wurde er plötzlich mit einer Anklage konfrontiert. Er solle vor Gericht erscheinen. Warum? Das sagt man ihm nicht. Das können wir aber, als Spieler:innen, versuchen selbst herauszufinden. Im Videospiel „Playing Kafka“ werden die berühmten Erzählungen des Autors auf dem PC und den Mobiltelefonen spielbar, wenn auch nur für eine kurze Zeit.
Es sind der „Brief an den Vater“ und die beiden unvollendeten Werke „Der Prozeß“ und „Das Schloß“, die das tschechische Studio Charles Games als Spiel adaptieren. Die Literatur Kafkas wurde nicht nur von anderen Autor:innen, sondern auch oft in Filmen und Serien aufgegriffen. 1962 verfilmte Orson Welles „Der Prozeß“, und Michael Haneke versuchte sich 1997 an „Das Schloß“.
Passend zu Kafkas 100. Todestag erschien dieses Jahr die gleichnamige, viel gelobte ARD-Serie mit sechs Folgen. Doch Videospiele, immerhin das inzwischen weltweit größte Unterhaltungsprodukt, haben den beliebten Autor bisher weitgehend gemieden. „Playing Kafka“ ist einer der wenigen Versuche, sich dem Kafkaesken zu nähern.
„Der Prozeß“ wird zuerst zum Spielerlebnis. Josef K. ist nun nicht mehr nur literarische Figur, sondern auch Spielfigur. Mit einem Mausklick zieht man ihn zu beiden Seiten durch verschiedene Räume, trifft auf unterschiedliche Charaktere und führt Gespräche. Doch niemand kann ihm sagen, weswegen er denn eigentlich angeklagt wird.
Kafka greifbar machen
Im „Brief an den Vater“ dagegen muss man immer wieder Fragmente der originalen Sätze des 1919 geschriebenen Briefes zusammensetzen, bevor man wieder die Spielfigur in diverse Szenen lenkt.
Und in „Das Schloß“ versuchen die Spieler:innen verzweifelt die Figur K. zu einem Schloss zu bringen, das aber nie in greifbare Nähe rückt. Spielerisch ähneln sich die drei Geschichten sehr, zieht man die Figuren doch stets durch die Szenarien, löst kleine Rätsel und wählt Antworten in den Dialogen aus. Es ähnelt einer Theaterbühne, die immer wieder ausgewechselt wird und mit kreativen Anordnungen überrascht.
„Playing Kafka“ ist auf Deutsch, Englisch und Tschechisch vertont, wobei die englische Version die beste und die deutsche eher durchwachsen ist. Und nach rund 90 Minuten sieht man bereits den Abspann. Doch hat das Spiel damit auch eine passende Länge für den pädagogischen Einsatz, zum Beispiel in der Schule. So könnte Kafka auch an jüngere Zielgruppen spielerisch vermittelt werden, ohne sie mit dem Kafkaesken zu überfordern oder abzuschrecken.
Mit Klischees brechen
Die berühmte Schullektüre „Die Verwandlung“ hat es gar nicht erst ins fertige Spiel geschafft. Eine bewusste Entscheidung, so Ondřej Paška, einer der Chefentwickler des Spiels. „Wir haben gesehen, dass es bei Kafka einen starken Fokus auf ‚Die Verwandlung‘ gibt.
Inzwischen ist es fast ein Klischee. Jeder denkt an Kafka und sieht einen großen Käfer. Es gibt mittlerweile eine Menge Interpretationen von ‚Die Verwandlung‘. Wir wollten aber mehr aus Kafkas Leben zeigen, also haben wir den sehr persönlichen ‚Brief an den Vater‘ eingebaut. Aber das Spiel taucht nicht allzu tief in die damalige historische Gesellschaft ein.“
Mit einer größeren Förderung wäre nicht nur die Synchronisation gelungener, auch der Umfang wäre größer gewesen. Damit hätte Charles Games auch „In der Strafkolonie“, „Amerika“ und „Der Kübelreiter“ adaptieren können.
Videospiel über NS-Besatzung
Entstanden ist „Playing Kafka“ in Zusammenarbeit mit dem deutschen Goethe-Institut. Bei der Entwicklung hat Charles Games außerdem mit mehreren Literaturwissenschaftler:innen kooperiert, um Kafka greifbar zu machen. „Wir sind ein kleines Studio und versuchen, Spiele mit einem sozialen Wert zu entwickeln. Deswegen arbeiten wir mit Expert:innen zusammen, die sich mit den Themen sehr gut auskennen“, so Paška.
Die Arbeit mit den Fachkundigen hat sich bereits bei anderen Spielen bewiesen, wie bei „Train to Sachsenhausen“, einem Spiel, das von der Schließung der tschechischen Universitäten nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges handelt. „Attentat 1942“ erzählt die NS-Besatzung durch die Augen der Opfer, arbeitet mit den Erfahrungen der Überlebenden und wurde mehrfach ausgezeichnet.
Mit „Playing Kafka“ öffnet das Studio ein neues Kapitel. Entscheidend für Paška war die Wahl der Plattform: „Wir wollten Kafka zu Menschen bringen, die noch nie von ihm und seinen Werken gehört oder sich mit ihnen beschäftigt haben. Das beste Format dafür ist das Handy, weil nichts zwischen dem Spiel und den Spielern steht. Jeder hat ein Handy und kann das Spiel herunterladen und sofort spielen. Außerdem stellen wir es kostenlos zur Verfügung, sodass es für jeden zugänglich ist.“
Bürokratie ist kafkaesk
100 Jahre nach seinem Tod scheint Kafka aktueller denn je. Sein literarisches Werk setzt sich nicht nur mit Depressionen und der menschlichen Angst auseinander, sondern auch mit dem Gefühl des Verlorenseins in einer immer komplexer und undurchsichtiger werdenden Gesellschaft. Und trotz der Düsternis findet Kafka in der Tragik eine gewisse Komik.
Obwohl das Kafkaeske schwer zu fassen ist, haben die Entwickler:innen es in ihrer Arbeit wiedererkannt. „Während der Entwicklung haben wir Kafkas Themen mehr und mehr im wirklichen Leben gesehen. Zum Beispiel die Bürokratie, völlig widersprüchliche Gesetze oder Situationen, in denen man nicht weiß, wie man überhaupt reagieren soll. Unlogische Situationen werden von großen Machthaber:innen völlig ernst genommen. Für mich ist das die Essenz des Wortes kafkaesk“, meint Paška.
Er sieht nicht nur Potenzial für weitere und größere Spiele über den Autoren, er ist auch überzeugt davon, dass Kafka in der Moderne eine Größe wäre: „Im Büro scherzen wir darüber, dass Kafka heute 24/7 auf Twitter wäre. Aber er würde die besten Kommentare zu allem geben. Und er würde dabei total dramatisch sein, eine totale Drama-Queen. Trotzdem war er seiner Zeit voraus.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend