Neues Van-Halen-Album: Auf zum Arschgrinse-Boogie!
Sleazerock is back, die alte Dampflok hat wieder genug Feuer unterm Kessel: Dank sei Van Halens überragendem Album „A Different Kind of Truth“.
Zweieinhalb Jahrzehnte lang konnte man von Popgeschmäcklern nur Häme hören über die Proto-Hardrock-Sleazer von Van Halen. Mit dem Einstieg Sammy Hagars, des späteren George-W.-Bush-Wahlkämpfers, war die Band, die davor Sound, Spielweisen und Optik des Hardrock so stark beeinflusst hat wie keine zweite, plötzlich nicht mehr satisfaktionsfähig.
Und als man Hagar dann noch gegen den vormaligen Extreme-Sänger Gary Cherone eintauschte, gab sogar die Mainstream-Hörerschaft auf, denen der sonnenbankgebräunte Feelgood-Riffrock eigentlich immer genug war.
Aber damit war es jetzt eben auch vorbei. Die Checker bekamen das gar nicht mehr mit. Sie hatten sich eingerichtet im Retroschisma: Van Halen mit Diamond Dave, also bis zum großartigen Album „1984“, ließ sich noch goutieren; aber danach hörte der Spaß auf, mit dem Album „5150“ begann eine Schnorcheltour durch die lauwarme kalifornische AOR-Rockbrühe.
Diese pure, überfallartige Energie der ersten drei Alben („Van Halen“, „II“ und „Women And Children First“), die so unvermittelt klangen, als wäre gar kein Medium dazwischen, als würde der Stromfluss einem ganz direkt ins Rückenmark fahren, haben sie mit Hagar nicht einmal mehr näherungsweise erreicht.
Es fehlte einfach diese amüsante, unberechenbare Melange aus Großmaul-Rockshouting und Las-Vegas-Crooning, die der passionierte Sportkletterer David Lee Roth, und auch das konnte man jederzeit heraushören, mit einem charmant selbstironischen Arschgrinsen darbrachte. Es fehlte diese schon beinahe an Arroganz grenzende Selbstsicherheit, mit der sich Van Halen auf eine gute halbe Stunde Musik pro Album beschränkten.
Totale Seinsgewissheit
Vor allem aber fehlte diese totale Seinsgewissheit, eine Zuversicht des Gelingens, die einem das Gefühl gibt, dass hier jemand absolut geistesgegenwärtig reagiert und dass er nichts anderes so gut macht wie das, was er gerade macht. Und die Heulboje David Lee Roth konnte einem genau dies vermitteln. Im Jahr 1996 sah es fast so aus, als könnten Van Halen wieder werden.
Um ihr erstes Best-of-Album aufzupolieren, kollaborierten Eddie Van Halen und David Lee Roth für zwei Songs, aber dann zerstritt man sich vor laufender Kamera bei den MTV Video Awards. Erst ein Jahrzehnt später wurde Friedenspfeife geschmaucht. Und dann, nach Eddies erfolgreichem Alkoholentzug, tingelten Van Halen ab 2007 durch Nordamerika, das ihnen förmlich zu Füßen lag und diese Reunion-Tour zur einträglichsten ihrer Karriere machte. Von einem neuen Album war ebenfalls die Rede.
Nun endlich liegt „A Different Kind of Truth“ vor. Dreizehn Songs, sieben veritable Neukompositionen und sechs Stücke, die auf Demos aus den Jahren 1975–1977 basieren. Sie haben alt und neu munter gemischt, und man muss es schon wissen, sonst hört man die dreieinhalb Dekaden nämlich nicht. Ausgerechnet „Stay Frosty“, ein akustischer Boogie mit Roth’ typischem Bargesang, der sich zum fetten Off-Beat-Rocker mausert, in dem Eddie die Gelegenheit zu einem geradezu juvenil-feuersprühenden Solo mit höchstem Gniedel-Gütesiegel nicht ungenutzt verstreichen lässt, soll aktuellen Datums sein.
Dabei imaginiert man gerade bei diesem Song Eddies erste selbstgebaute, schwarz-weiß-gestreifte „Frankenstrat“-Gitarre vom Debütalbum. Und die Vorabsingle „Tattoo“, eine fröhlich swingende, keyboardgestützte Poprocknummer, die man chronologisch viel später situieren würde, noch am ehesten im „1984“-Kontext, geht angeblich zurück auf eine alte Demoskizze. Wenn das stimmt, was die Band verlauten lässt, zeigt das vor allem eins: Wie sehr sie an den Songs gearbeitet hat, um ein kohärentes, geschlossenes Van-Halen-Album ins Werk zu setzen.
Synchrones Nachturnen
Nostalgiker werden Michael Anthony vermissen, den Bassisten der Urbesetzung. Aber musikalisch begründen lässt sich das nicht. Während Anthonys Stärke immer schon seine geradezu stoische Solidität war, erweitert Eddies Sohn, der leibhaftige Wolfgang Van Halen, noch einmal das musikalische Spektrum. Er hat all die schmutzigen Tricks des modernen Gitarrenspiels von klein auf eingebimst bekommen, und so kann er seinem Vater durchaus folgen, wenn der wieder mal zu seinen halsbrecherischen Tapping-Läufen ansetzt.
Gerade bei den aufgekratzten Speednummern „As Is“ und „China Town“ wirbeln die beiden Äxte eine ziemliche Menge Staub auf. Besonders wenn Wolfgang die Pirouetten seines alten Herrn vollkommen synchron, nur eine Etage tiefer nachturnt. Ein bisschen akustische Füllwatte ist auch dabei, und Eddies Riffs und Licks sind nun wirklich jedem Gitarrenklippschüler hinreichend bekannt, aber in dieser Vollständigkeit und mit dieser aufgeputschen Spielfreude hat man sie schon sehr lange nicht mehr gehört. Dave sei Dank hat die alte Dampflok wieder genug Feuer unterm Kessel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag