Neues Unterhaltsrecht: "Frauen haben Grund zur Sorge"
Das neue Unterhaltsrecht wird eine Flut von Klagen nach sich ziehen, ist die Familienanwältin Renate Maltry überzeugt. Die Ehe als Versorgungsinstitut gäbe es nicht mehr.
taz: Frau Maltry, profitieren vom neuen Unterhaltsrecht die Männer mehr als die Frauen?
Renate Maltry (54) ist Fachanwältin für Familienrecht und Erbrecht in München. Sie führt ihre Kanzlei seit 1983. Maltry ist Vizevorsitzende des Deutschen Juristinnenbunds und leitet dessen Regionalgruppe München/Südbayern. Maltry publiziert zu den Themen Kindschaftsrecht, Eheverträge und Mediation. Die Stellungnahme des Juristinnenbunds zum Unterhaltsrecht findet sich deren Homepage unter www.djb.de.
Renate Maltry: Das neue Unterhaltsrecht begünstigt Männer in ihren Zweitfamilien. Denn Männer können in höherem Alter in der Zweitehe noch Kinder zeugen, Frauen nicht. Und diese Kinder haben nun Vorrang. Bisher wurde die Erstfrau nach einer Scheidung vorrangig versorgt, jetzt gehen sämtliche Kinder aus Erst- und Zweitehe vor. Bei einem Durchschnittseinkommen ist dann für die Erstfrau in der Regel nichts mehr übrig. Eine vergleichbare Situation kann die Frau aus biologischen Gründen gar nicht herstellen. Das neue Unterhaltsrecht begünstigt also die serielle Monogamie des Mannes.
Der ältere Ehemann, der mit der jüngeren Zweitfrau eine neue Familie gründet, ist vor allem aus Prominentenkreisen bekannt. Sind solche Fälle nicht doch eher selten?
Leider nein. Ich habe keine Statistik parat, aber ich bin seit 24 Jahren Familienrechtsanwältin und habe diese Fälle doch sehr häufig.
Proteste hört man kaum. Finden Sie das neue Recht denn nun problematisch oder nicht?
Langfristig finden auch wir als Juristinnenbund positiv, dass die Eigenverantwortung der Frau gestärkt wird. Aber im Moment werden Frauen benachteiligt, die sich darauf verlassen haben, dass sie in und nach einer Ehe versorgt werden. Diese Frauen sehen sich nun in ihrem Vertrauensschutz betrogen. Das kritisieren wir durchaus.
Das Gesetz sieht Ausnahmen für langjährige Ehen vor. Auch die Frage, ob man eine Kinderbetreuung finden kann, um arbeiten zu gehen, muss berücksichtigt werden. In solchen Fällen kann der Mann dann doch zum Zahlen verdonnert werden, oder nicht?
Das Problem ist, dass diese Einschränkungen mit unbestimmten Rechtsbegriffen beschrieben werden. Ob der Richter es "billig" oder "zumutbar" findet, dass jetzt die Oma zur Kinderbetreuung verdonnert wird, oder ob er einem labilen Kind zumutet, in eine große Kita zu gehen, kann man im Vorhinein nicht wissen. Darauf kann sich also keine Frau verlassen. Das halte ich für ein großes Problem. Bis wir Entscheidungen des BGH haben, was denn nun genau zumutbar ist, wird sehr viel Arbeit auf uns zukommen.
Wie hätte man das Problem besser lösen können?
Man hätte für diese Altfälle eine Übergangsregelung schaffen müssen. Es gibt ja nun geschiedene Frauen in fortgeschrittenem Alter, denen jetzt von einem Tag auf den anderen der Unterhalt gekürzt werden kann. Das ist kein Vertrauensschutz.
Sie meinen, geschiedene Männer lassen nun massenhaft den Unterhalt neu berechnen?
Ja, wir rechnen mit einem Ansturm an Unterhaltsabänderungsklagen. Wir haben jetzt schon sehr viele Anfragen von beiden Seiten: Männer, die aus der Unterhaltsverpflichtung herauswollen, und Frauen, die sich Sorgen machen.
Was sagen Sie den Frauen?
Dass sie nun versuchen müssen, erwerbstätig zu werden.
Hausfrauen über 50 sind nicht der Renner auf dem Arbeitsmarkt.
Ja, das ist ein großes Problem, weil die gesellschaftliche Realität nicht mit dem übereinstimmt, was das Gesetz vorgibt.
Kann es sein, dass Frauen deshalb vor Gericht gehen?
Ja, eine Verfassungsbeschwerde ist durchaus denkbar.
Bisher hat die Union den Frauen immer versprochen, sie hätten eine freie Wahl zwischen Hausfrauendasein und Beruf. Wie verträgt sich das mit dem neuen Unterhaltsrecht?
Das verträgt sich gar nicht. Diese Wahlfreiheit ist schon lange eine Illusion, und mit dem neuen Unterhaltsrecht wird sie endgültig gesetzlich abgeschafft. Das kann man den Frauen nun nicht mehr guten Gewissens erzählen. Frauen können sich auf die Ehe als Versorgungsinstitut nicht mehr verlassen.
Lügt die Union also?
Es wird den Frauen jedenfalls etwas vorgemacht.
Wie können sich junge Frauen, die für ihre Kinder durchaus ein paar Jahre aus dem Beruf aussteigen wollten, nun absichern?
Am besten gehen beide arbeiten und teilen sich die Kindererziehung.
Aber es gibt doch Fälle, in denen der Mann so gut verdient, dass es sich für das Paar eher rechnet, wenn nur die Frau einige Zeit aussteigt.
In einem solchen Fall raten wir dazu, einen Vertrag abzuschließen. Die Frau kann sich einen finanziellen Ausgleich für diese Zeit ausbedingen. Oder auch nachehelichen Unterhalt vereinbaren. Junge Eltern müssen sich diese Arbeits- und Geldaufteilung in Zukunft viel genauer überlegen.
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