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Neues SelbstbestimmungsgesetzTrans im Verteidigungsfall

Kommentar von Jayrôme C. Robinet

Russlands Krieg gegen die Ukraine wirkt bis in den Referentenentwurf für das neue Selbstbestimmungsgesetz hinein. Leider auch hier natürlich negativ.

In Kriegszeiten leidet auch die Gleichberechtigung: Camouflage-Muster einer Bundeswehruniform Foto: Westend61/imago

D er russische Angriffskrieg in der Ukraine hat unerwartete Kollateralschäden. So wurde in den Referentenentwurf für das Selbstbestimmungsgesetz eine wenig diskutierte Regelung aufgenommen: die Diskriminierung von trans Frauen und nichtbinären Menschen im Kriegsfall. Der von der Bundesregierung am 9. Mai 2023 vorgelegte Gesetzentwurf soll es trans, inter und nichtbinären Menschen ermöglichen, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ohne psychiatrische Gutachten und langwierige Gerichtsverfahren zu ändern.

Paragraf 9 des Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG) sieht vor, dass für die Dauer eines Spannungs- oder Verteidigungsfalles die amtliche Zuordnung zum männlichen Geschlecht bestehen bleibt. Konkret bedeutet das: Eine trans Frau oder eine nichtbinäre Person wird zum „Dienst mit der Waffe“ verpflichtet, wenn sie ihren Geschlechts­eintrag weniger als zwei Monate vor dem Eintritt des Spannungs- oder Verteidigungsfalles geändert hat.

Laut dem Bundesverband Trans* e. V. (BVT*) scheint diese Regelung aus der Befürchtung heraus entstanden zu sein, dass im Spannungs- oder Verteidigungsfall cis Männer eine Änderung ihres Geschlechtseintrags missbrauchen könnten, um sich der Wehrpflicht zu entziehen.

Gleichbehandlung auch beim Kriegsdienst

Dabei werde jedoch übersehen, dass es in Deutschland das Recht gibt, den Kriegsdienst aus Gewissensgründen zu verweigern (Art. 4 Abs. 3 GG). Im Jahr 1954, zwischen dem Indochina- und dem Algerienkrieg, schrieb der französische Schriftsteller Boris Vian das Lied „Le Déserteur“, das Wolf Biermann später auf Deutsch sang. In der Zeit der französischen Kolonialkriege hatten Vian und sein Deserteur etwas Heldenhaftes.

In einem Angriffskrieg sieht das Bild des Pazifisten zum Teil anders aus. Dennoch ist es, so der BVT*, gesellschaftlich weniger stigmatisierend, den Kriegsdienst aus Gewissensgründen zu verweigern, als den Geschlechtseintrag zu ändern. Schon aus diesem Grund erscheint es unwahrscheinlich, dass ein Kriegsdienstverweigerer den Weg der Transgeschlechtlichkeit wählt. Sollte es doch einmal eine Ausnahme geben, so wäre dies ein Hinweis darauf, wie schrecklich es für Männer sein kann, sich gezwungen zu sehen, militärisch zu dienen.

Eine Lösung könnte sein, den Kriegsdienst mit der Waffe geschlechtsunabhängig zu gestalten

Als in der Ukraine bekannt wurde, dass Frauen zum Militärdienst eingezogen werden sollten, war die Empörung groß. Zwar sollten sie nicht an die Front, aber als Ärztinnen und Krankenschwestern sollten sie sich um Verwundete kümmern oder in Berufen einspringen, in denen die Männer wegen des Kriegseinsatzes fehlten – etwa in Bäckereien oder der Buchhaltung. In einer Online-Petition war von „Missbrauch von Frauen“ die Rede. Aber ist es nicht ein queerfeministisches Anliegen, dass alle Geschlechter gleichbehandelt werden?

Kriegsdienst geschlechtsunabhängig gestalten

Zudem ist zu betonen, dass Paragraf 9 SBGG eine Ungleichbehandlung von trans Frauen und nichtbinären Menschen einerseits und trans Männern andererseits darstellt. Im Vergleich zu trans Männern, die ihren Geschlechtseintrag auch im Spannungs- oder Verteidigungsfall problemlos ändern könnten, würden trans Frauen und nichtbinäre Personen durch die Regelung des Paragrafen 9 benachteiligt. Dies ist eine klare Ungleichbehandlung, die dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Geschlechter widerspricht.

Eine mögliche Lösung könnte darin bestehen, den Kriegsdienst mit der Waffe geschlechtsunabhängig zu gestalten. Damit würde sich Paragraf 9 erübrigen. Statt nur Personen mit männlichem Geschlechtseintrag zur Landesverteidigung heranzuziehen, könnte die Wehrpflicht auf alle Geschlechter ausgedehnt werden. Dies würde Diskriminierung verhindern und den Gleichbehandlungsgrundsatz stärken.

Generell muss sich Deutschland in vielen Bereichen Gedanken darüber machen, wie es mit Menschen umgehen will, deren Geschlechtseintrag divers oder leer ist. Von der Anerkennung der Elternschaft über Regelungen im Sport und im Strafvollzug bis hin zu Quotenregelungen.

Trans Personen überdurchschnittlich von Armut betroffen

Ein Beispiel für eine fortschrittliche Gesetzgebung in diesem Bereich ist Argentinien. Seit 2012 gibt es ein Selbstbestimmungsgesetz, das die Änderung des Geschlechtseintrags ohne ärztliches Gutachten, Hormonbehandlung oder Gerichtsverfahren ermöglicht. Darüber hinaus hat die argentinische Regierung eine Quotenregelung für trans Personen im öffentlichen Dienst ab 2021 eingeführt.

Das Gesetz legt eine Mindestquote von einem Prozent der staatlichen Arbeitsplätze für Transvestiten, Transsexuelle und Transgender fest. Um dies zu gewährleisten, müssen alle staatlichen Institutionen, Ministerien und nichtstaatlichen öffentlichen Einrichtungen bei allen regulären Einstellungsverfahren eine bestimmte Anzahl von Arbeitsplätzen schaffen, die ausschließlich mit Transvestiten, Transsexuellen und Transgendern besetzt werden. Wenn Be­wer­be­r:in­nen keinen Sekundarschulabschluss haben, können sie unter der Bedingung eingestellt werden, dass sie diesen nachholen.

So betrachtet ist der Referentenentwurf für das SBGG noch sehr zurückhaltend. Eine Studie im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus dem Jahr 2010 hat gezeigt, dass trans Personen überdurchschnittlich häufig von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen sind, häufig unter ihrer Qualifikation arbeiten und im Arbeitsleben massiven Diskriminierungen ausgesetzt sind. Das fängt bei den Karrierechancen an und geht über Ablehnung und Belästigung bis hin zu Gewalt.

Der Referentenentwurf für das SBGG stellt zwar einen deutlichen Fortschritt gegenüber den bisherigen Regelungen dar. Mit ihm entfällt die Notwendigkeit von externen Gutachten, Gerichtsverfahren und ärztlichen Attests für die amtliche Änderung der Vornamen und des Geschlechtseintrags. Doch es bedarf dringend noch der Verbesserung. Dazu gehört die ersatzlose Streichung des Paragrafen 9 im Spannungs- und Verteidigungsfall.

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3 Kommentare

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  • Solange Frauen vom Wehrdienst generell ausgenommen sind, ist da eine nutzbare Ungleichheit. Sich aus Gewissensgründen vom Kriegsdienst befreien zu lassen, ist wenigstens noch an Bedingungen gebunden und insoweit überprüfbar (und sehr wahrscheinlich auch im Kriegs- oder Verteidigungsfall WEIT schwerer) und keine reine einseitige gestaltende Erklärung.

    Letztlich sollte diese Ausnahme ein weiterer Punkt sein, der vor Augen führt, dass eine solche bedingungslose Wechselmöglichkeit von einem rechtlichen Geschlecht zum anderen erst missbrauchsfest wird, wenn die rechtlichen Unterschiede zwischen Frauen und Männern eingeebnet sind. Aber das wird so schnell nicht passieren, fürchte ich.

  • "Schon aus diesem Grund erscheint es unwahrscheinlich, dass ein Kriegsdienstverweigerer den Weg der Transgeschlechtlichkeit wählt."

    Vor ein paar Tagen gab es erst in der Schweiz einen Fall eines SVP Bünzlis, der die Vereinfachung der Anpassung des Geschlechtseintrags in der Schweiz ausnutzte, um der Einberufung zu entgehen. Und da er weder Militär- noch Ersatzdienst leisten wollte, noch die Wehrpflichtersatzabgabe, hat er eben seinen Geschlechtseintrag ändern lassen.

    www.20min.ch/story...-will-875554044786

    Letztes Jahr gab es ebenfall in der Schweiz einen Fall, wo das neue Recht ausgenutzt wurde, um zu versuchen, früher die AHV-Rente zu kassieren.

    www.luzernerzeitun...40198?reduced=true

    Es gibt keine perfekte Regelung, es wird immer Menschen geben, die versuchen werden, Regeln zu ihrem Vorteil auszunutzen.

    "Dabei werde jedoch übersehen, dass es in Deutschland das Recht gibt, den Kriegsdienst aus Gewissensgründen zu verweigern (Art. 4 Abs. 3 GG)."

    Und in wie weit wird Ihr Recht auf Kriegsdienstverweigerung in diesem Fall beschnitten?

    "Eine mögliche Lösung könnte darin bestehen, den Kriegsdienst mit der Waffe geschlechtsunabhängig zu gestalten. Damit würde sich Paragraf 9 erübrigen. Statt nur Personen mit männlichem Geschlechtseintrag zur Landesverteidigung heranzuziehen, könnte die Wehrpflicht auf alle Geschlechter ausgedehnt werden."

    Moment was?

    Die BW hat keine Ahnung, wie sie massenhaft Leute im Spannungsfall einziehen sollte. Die 16 Karrierecenter könnten es definitiv nicht, es gibt auch faktisch keine Wehrüberwachung mehr. Es gibt weder Material, Strukturen und so weiter, um eine massenhafte Einziehung von Leuten zu ermöglichen. Ob das SBGG jetzt ein Grund ist, § 1 WPflG auf Frauen auszudehnen, halte ich für eine rein theoretische Diskussion.

  • Im Kriegsfall bzw. Verteidigungsfall spielen irgendwelche Verweigerungsgründe sowieso keine Rolle mehr. Das beide Geschlechter gleichermaßen zur Landesverteidigung herangezogen werden sollen ist mehr als überfällig. Gleichstellung ist schließlich nicht nur mit Rechten, sondern auch mit Pflichten verbunden.