Neues Musical "Rocky": Immer auf die Zwölf
Das neue Hamburger Musical "Rocky" übersetzt den gleichnamigen Film im Sinne einer radikalen Überwältigungsästhetik möglichst 1:1 auf die Bühne. Der Star dabei ist die Technik.
HAMBURG taz | Überall auf den Promi-Fotos: die geballte Faust. Die Drag-Queen Olivia Jones zeigt sie und der Miniatur-Wunderland-Gründer Frederik Braun. Auch auf den Titelblättern der regionalen Medien ist sie am Montag überall: Die Faust, weit nach oben gereckt in Siegerpose. „Große Gefühle, großes Theater“, steht im Abendblatt, „Rocky haut Hamburg um“, steht in der Bild. Es ist der Tag eins nach der Premiere des Musicals „Rocky“ und die Hamburger Medien platzen vor Stolz: Silvester Stallone war da! Die Klitschko-Brüder waren da! Hamburg ist Musical-Weltkulturhauptstadtmetropole – neben New York und London!
Unabhängig davon, was auf der Bühne des Operettenhauses passiert, ist Rocky schon mal ein PR-Coup. Anders, als es in New York oder London der Fall wäre, generiert diese Premiere in Hamburg einen Medienhype. Das passiert, weil es in der Hansestadt einen großen Hunger nach Glamour gibt, der selten gestillten wird. Vielleicht passiert es auch, weil Hamburg sich in Rocky wiedererkennt: Rocky ist ein verkannter Boxer, der seine Chance ergreift und um den Weltmeistertitel kämpft. Hamburg ist eine verkannte Weltstadt, die ihre Chance ergreift, und so tut, als passiere mit Rocky Weltbewegendes in der Stadt.
Was sich beim Hamburger Rocky-Musical bewegt, ist aber nicht die Welt, sondern nur das Bühnenbild. In einer für Theaterverhältnisse außergewöhnlichen Geschwindigkeit werden Bühnenbilder auf die Bühne gefahren, sie kommen von oben, von links, von rechts und von hinten. Die meisten der Bühnenbilder sind große Kästen, die im Ganzen auf und abgefahren werden. In ihnen befinden sich realistisch gebaute Orte: Rockys abgefuckte Wohnung, das Geschäft seiner Geliebten Adrian, die schmutzige Trainingshalle, die Kühlhalle mit den Rinderhälften, von Rocky als Sandsäcke benutzt – alles so wie im Film, alles so, wie sich die Filmemacher die Stadt Philadelphia in den 1970er Jahren vorstellen.
In den detailgetreuen Bühnenbildern geben filmgemäß gekleidete Schauspieler genau die Geschichte wieder, die auch der Film erzählt: Underdog Rocky steht kurz davor, sich selbst für einen Verlierer zu halten, bekommt dann aber das Angebot, gegen den amtierenden Weltmeister zu kämpfen und wächst meilenweit über sich selbst hinaus. Parallel dazu erobert er das Herz von Adrian, die ihrerseits vom hässlichen Entlein zur italienischen Schönheit mutiert.
Die Idee der Inszenierung ist, mit hohem technischen Aufwand eine Live-Version des Films auf die Bühne zu bringen. Diesen Ansatz verfolgen viele Musicals, die einen Filmstoff adaptieren. Bei Rocky allerdings rotieren echte Kulissen – wohingegen beispielsweise bei der Musical-Fassung von „Dirty Dancing“ etliche Bühnenbilder lediglich mit einem Filmprojektor auf einen Gaze-Vorhang projiziert wurden.
Drei Musicaltheater gibt es gegenwärtig in Hamburg, zwei sollen demnächst dazu kommen.
2014 will die Firma Stage Entertainment ein weiteres Haus neben der "König der Löwen"-Spielstätte eröffnen.
2015 möchte der Veranstalter "Mehr! Entertainment" eine Spielstätte in der Großmarkthalle eröffnen.
Rund zwei Millionen Menschen pro Jahr besuchen laut der Hamburg Tourismus GmbH die Hamburger Musicals.
Auf etwa eine Million taxierte Hamburg Tourismus im vergangenen Jahr die Zahl der damit verbundenen Übernachtungen.
Der technische wie dramaturgische Höhepunkt bei Rocky ist die Verwandlung des Operettenhauses in eine Boxarena. Dazu werden die Zuschauer aus den ersten Reihen auf eine Tribüne auf der Bühne umgesetzt und der Boxring wird in den Zuschauerraum geschoben. Die Zuschauer werden kurzerhand zu Statisten und wissen kaum noch, wo sie hin schauen sollen: Im Ring verdreschen sich Rocky und Apollo, ein TV-Kommentator beschreibt, was zu sehen ist, Nummerngirls stöckeln durch den Ring, die Zuschauer klatschen, die Musik doppelt die Faustschläge des Kampfes.
Mehr illusionistisches Überwältigungstheater ist kaum vorstellbar. Und genau darin liegt das Problem dieses „Rocky“: Theater, das seinen Schwerpunkt auf seine bühnentechnischen Möglichkeiten setzt, wird das Publikum mittelfristig langweilen. Es wird die gleiche Entwicklung durchmachen wie der Film, bei dem sich die Logik der technischen Überbietung ausgereizt hat. Was zählt, sind dann halt doch so altmodische Dinge wie Geschichten oder Charaktere.
Oder auch Musik, schließlich ist „Rocky“ immer noch ein Musical. In musikalischer Hinsicht aber ist Rocky ganz schwach auf der Brust: Es dominiert die Billy Joel-eske Piano-Schnulze, die mit dem Moment ihres Verklingens auch schon vergessen ist. Sie stammt von Stephen Flaherty, der die Musik für diverse Broadway-Musicals geschrieben hat. Einzig eindrucksvoller Aspekt: Im Vergleich zu Flahertys belanglosen Kompositionen strahlt der ebenfalls eingesetzte grandiose Film-Hit „Eye of the Tiger“ umso stärker.
Auch schauspielerisch betrachtet versucht das Musical, die Filmfiguren so weit als möglich zu kopieren. Bei Rocky-Darsteller Drew Sarich geht das so weit, dass neben Kleidung und Frisur auch die Körpersprache und der Sprachduktus den Film-Rocky nachmachen. Der kalkulierte Effekt: Die Zuschauer können bewerten, wie nahe Sarich der Vorlage kommt. Sarich wird gut dabei weg kommen.
15 Millionen Dollar hat sich Stage Entertainment das Spektakel kosten lassen – Geld, das sich durch die lange Laufzeit und durch die Eintrittspreise amortisieren soll. Der Eintritt kostet zwischen 50 und 127 Euro und das Operettenhaus hat Platz für 1.400 Zuschauer. Underdogs wie Rocky werden kaum kommen. Rocky würde sich den Live-Film sparen – und einfach gleich ins Kino gehen.
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